Zum 85. Geburtstag des Bildhauers Martin Mayer
Mit Gottvertrauen und üppigen Feen
Seinen Keiler vor dem Jagdmuseum in der Münchner Fußgängerzone kennt jedes Kind. Auch den Franziskus oder die dralle Olympia. Am 16. Januar 2016 wurde der Münchner Bildhauer Martin Mayer 85 – ein Besuch bei ihm in der Borstei. Die eine räkelt sich ungezwungen am Boden. Zwei andere gucken Löcher in die Luft. Dazwischen öffnet eine Mollige verträumt die angewinkelten Beine, während einem die nächste ihr herrlich ausuferndes Gesäß entgegenstreckt. Ein bisschen wie in Ingres‘ „Türkischem Bad“ geht es hier zu. Nur sitzt der Pascha mittendrin: Martin Mayer lächelt, und seine durchdringenden blauen Augen leuchten herausfordernd. So viele Frauen – das macht ihm so schnell keiner nach.
Natürlich im Kleinformat. Auf diese Weise hat der Bildhauer die meisten seiner „Töchter“ um sich, und man kann sich mit den dicht gehängten Zeichnungen an der Wand ein schönes Bild machen vom Schaffen Mayers, das sonst schwer zusammenzubringen ist. Die zuweilen überlebensgroßen Figuren sind überall in Deutschland verteilt, einige in München wie die Bukolika (1984), die an der Unterführung der Ludwigsbrücke sitzt und sinniert. Oder die knapp vier Meter hohe Olympia Triumphans (1972), die mit weit gespreizten Beinen im Olympiapark kopfüber auf einer Kugel balanciert. Und freilich der stattliche Keiler, der sich’s vor vierzig Jahren in der Neuhauser Straße vor dem Jagd- und Fischereimuseum bequem gemacht hat.
Lauter stattliche Werke, die längst zur Stadt gehören wie der Fischbrunnen am Marienplatz oder der Satyr samt Bronzebub vor dem Oberpollinger. Doch wie es halt so ist bei den Künstlern, die im öffentlichen Raum höchst präsent sind: Man kennt sie nicht. Und Mayer mag es nicht einmal, wenn man ihn als Künstler bezeichnet. „Ich bin Bildhauer“, sagt er mit Nachdruck. Aber auch wieder so bescheiden, dass man ihn am liebsten anstubsen möchte. Er ist das Gegenteil vieler heute so selbstgewiss auftretenden Kunst-Performer, die schon für die erste Gruppenschau ein PR-Geschwader engagieren.
Dabei hatte Mayer bereits in ganz jungen Jahren einiges vorzuweisen. 1952, mit gerade mal 21, war er in der „Großen Kunstausstellung“ im Haus der Kunst vertreten. Auch, weil er früh losgelegt hat. Mit nur 15 Jahren nahm ihn Theodor Georgii in seine Obhut, und damit kam der talentierte Bub gleich in den Dunstkreis der traditionsreichen Münchner Bildhauerei: Der Akademieprofessor war der wichtigste Schüler Adolf von Hildebrands und zudem mit dessen Tochter verheiratet. Die Unterweisung fand bald auch in den heiligen (Arbeits-)Hallen des Deutschrömers in der heutigen Monacensia statt, und Mayer, der das Atelier später übernahm, besitzt nach wie vor das Werkzeug des Meisters. Überhaupt sollte er sich mit dessen Skulpturen sehr früh und ganz praktisch auseinandersetzen. Nach dem Krieg half Mayer seinem Lehrer, Hildebrands von Bomben zerstörten Wittelsbacher Brunnen wieder herzustellen.
Er erzählt das mit deutlichem Berliner Akzent, die wenigen Jahre dort nach der Geburt 1931 scheinen prägend gewesen zu sein. So, wie Andreas Schlüters barockes Reiterstandbild des Großen Kurfürsten, das ihm mächtig imponiert hat. Das wollte er auch können. Und weil es in der Schule ein paar Jahre später in Kaiserslautern und Weißenburg mehr schlecht als recht lief, aber der Bub prima zeichnen konnte, suchten die Eltern – beide Gebrauchsgrafiker – nach einer gestalterischen Ausbildung.
Das handwerkliche Fundament war damals wichtig, der sichere Umgang mit dem Material und das Erkunden der Wirklichkeit mit Augen und Händen. Bequem durfte man nicht sein, Martin Mayer schwört jetzt noch auf seine Arbeitskniebundhosen. Und fragt man ihn nach Vorbildern, verweist er auf die Straße und nicht aufs Museum. Das klingt zunächst kokettierend, man fühlt sich schon mal an Aristide Maillol oder Marino Marini erinnert, selbst die Damen Renoirs kommen einem in den Sinn, aber Mayer – und das meint er damit – hat keinen kopiert, niemandem versucht nachzueifern. Seine hockenden und sich duckenden Frauen, die zünftigen Ballerinen entsprechen eh nicht dem klassischen Schönheitsideal. Eher einer drallen Bally Prell, mit etwas mehr Taille allerdings. Denn dadurch kommt der Hintern erst richtig zur Geltung. Das Wichtigste, meint Mayer und schaut eine Spur verwegen.
Andererseits haben diese Weibsbilder so gar nichts Laszives. Und selbst die zur Schau gestellte Scham nie etwas Obszönes. Mayers Mädchen wissen nicht, was sie tun. Wie spielende Kinder vergnügen sie sich am eigenen Körper, sie sind ganz auf sich bezogen, ohne auch nur ansatzweise narzisstisch zu sein. Dass jemand zuschaut, kommt ihnen gar nicht in den Sinn. Und auch die wenigen Männer, die sich durch Mayers Œuvre ziehen, der Jakobspilger in Speyer oder der Franziskus, der von der Sonnenstraße an den Sankt-Anna-Platz umgezogen ist, sind ganz bei sich und dabei heiter.
Man wundert sich sowieso, dass die Kirche diesen Künstler nicht vereinnahmt hat. Wenn man so will, strahlt gerade der in die Welt schreitende Franziskus Gottvertrauen aus, die Gewissheit, geborgen zu sein. Besser kann man das Glück gläubiger Menschen kaum zum Ausdruck bringen. Andererseits waren die vielen Nackerten mit den unschicklichen Posen wahrscheinlich nicht genehm. Und oft ist Mayer für sie angefeindet worden. 1973, als er seine Olympia-Bronze in Reichweite von Günter Behnischs Stadion turnen ließ, gab’s Schmähbriefe und Beschimpfungen weit unter der Gürtellinie.
Lange ist das vorbei, Martin Mayer steht mit seinem schlohweißen, leicht widerborstigen Haar am Fenster und zuckt mit den Schultern, während der Verkehr draußen vor der Borstei durch die Dachauer Straße rauscht. Er muss sich nichts mehr beweisen, am heutigen Samstag wird er 85. Umgeben von seinen üppigen Feen. Und seiner grazilen Frau Sigrune. Mehr kann sich ein Liebhaber weiblicher Formen nicht wünschen.