Das siebte Klangfest im Gasteig

Heimat ist wo der Eisheilige kübelt

von Michael Wüst

Im nasskalten Griff seiner Eisheiligkeit. Foto: Michael Wüst

Kulturreferent Hans-Georg Küppers betrat die Bühne - und der dunkle Himmel teilte sich und ließ die Sonne durch. Zusammen mit Daniel Dinkler und Petra Deka von Vut-Süd, dem Verband unabhängiger Musikunternehmen e.V. , eröffnete er das siebte Klangfest mit einigen Assoziationen zur gefürchteten Magie der Zahl sieben. Und kaum hatte er die Bühne verlassen, hatte der Eisheilige Bonifatius das Wetter auch schon wieder fest im nasskalten Griff.

Aber das konnte den Klangfest-Fan nicht erschüttern. Neben auffallend vielen Gästen anderer Heimaten, sogenannten Touristen, trudelten die Münchener "VUT-Bürger" massenhaft und geduldig ein und stauten sich vor den Bühneneingängen.

Die Black Box, mit den Gewinnern der Kulturvollzugs-Wilde-Card, war sofort voll: Buck Roger &  The Sidetrackers. Ein Sci-Fi-Held und seine Gabelstapler? Mit dem Weltraum-Cowboy ist Sänger und Gitarrist Buck Roger jedenfalls nicht verwandt und seine Sidetracker haben mit Gabelstaplern auch nichts zu tun, außer, dass sie ihren Frontmann in wunderbare Höhen rockig-swingender Tunes liften. Mit Altsax und Trompete, Double Bass, knackigen Drums und mehrstimmigem Gesang gelingen frische, natürliche Songs in einer italo-amerikanischen Stilistik mit viel zupackendem Drive. Fa, Fa l´ Americano, Louis Prima-Charme, prächtiges Entertainment. Wer sich diese Gute-Laune-Packung ausführlich geben will, dem sei empfohlen am 27. Mai 2016 ins Strom an der Lindwurmstraße zu gehen, dort präsentieren sie ihre CD.

Buck Roger & The Sidetrackers. Foto: Michael Wüst

"Du kannst wirklich alles schaffen, wenn´sd wirklich mogst" kommt es jetzt mit Alex Cumfe von der Open-air-Bühne. Kein Problem, die gute Laune aus der Black Box nehmen wir mit und lassen uns bei der Sängerin mit der feinen, geraden Stimme und ihrer funky Band einregnen. Mit ihren ganz untümelnden Songs gehört sie zu den Entdeckungen des Heimatsound-Festivals.

Zurück im Carl-Orff-Saal lädt uns Moderator Clemes Nikol von U21, dem Jugendsender von BR Klassik, ein, bei Daktarimba von Afrika zu träumen. Des is recht, sagen wir uns. A  bissel a Aufwärm-Ethnographie. Mit Wolfgang Lackerschmid am Marimbaphon und Walter Lang am Klavier sind dazu noch zwei Vertreter des bei diesem Klangfest etwas heimatlosen Jazz aufgetaucht. Zusammen mit Njami Sitson aus Kamerun (Perc, Voc) haben sie Daktarimba entwickelt. Der Titel mixt die Daktari-Serie, den schielenden Löwen Clarence mit der Marimba, dem hölzernen Bruder des Vibraphons. Im gleichnamigen Stück von Wolfgang Lackerschmid korrespondiert der warme, direkte Ton der Marimba mit minimalistischen Gegenbewegungen Walter Langs; Njami Sitson singt darüber mit sehr hoher klarer Kopfstimme. Bei allen Ausflügen in Jazz-Alterationen bleibt Klang und Bewegung harmonisch hell und klar - westafrikanisch.

Michael Fitz, souveräner Solist. Foto: Michael Wüst

Überrascht wie schnell er von den Medien "Vom Geheimtipp zum Urgestein" befördert wurde, zeigt sich Michael Fitz, der sich danach allein in der Mitte des Car-Orff-Saals eingerichtet hatte. "Des Bin I", heißt seine CD. In dieser Schlichtheit steckt viel mehr: Denn Michael Fitz ist ein souveräner Solist. Charakterisierungen wie vielleicht `weltoffener Bayer´ oder `hintersinniger Grantler´ können getrost weggelassen werden. Auch eine Frage nach der Heimat erübrigt sich. Da steht er schlicht drüber. Vielmehr mag so einen verwundern, wie politische Fraktionen heute versuchen, sich diesen Begriff gegenseitig zu entreißen. Zur Souveränität gehört die Distanz, die er zu sich selbst hat. In "Hinter meiner Stirn" schaut er sich selbst zu, wie es bei ihm so zugeht. Wie es hin und her geht und drunter und drüber und wie es ihm manchmal auch vorkommt, als würden sich da "zwoa kloane dicke Hausverwalter streiten". Michael Fitz ist an einem Höhepunkt seiner Karriere angelangt, das Urgestein kann er in den Bach plumpsen lassen.

Wer zu Akere in die Black Box ging und des Namens wegen rhythmische Power unterstellte, sah sich getäuscht. Sängerin Sarah Sulai, Gitarrist Hans Hustle und Rhythmus-Knöpfchen-Drücker Manu I. One nahmen den Zuhörer mit - irgendwohin - wie Sarah Salui selbst freimütig hauchte. Irgendwohin, wo man vielleicht an Niemandsländer à la Portishead denken sollte. Aber auf dem Weg dorthin hatten wohl alle Probleme. Die drei Musiker, an kleinen Apparaten schraubend, nickten zu ihren Klangausflügen einträchtig synchron als stünden sie an einer digitalen Klagemauer eines Nirgendwohin.

Ja, wia gäz eich denn? Foto: Michael Wüst

Draußen vor der Black Box hatten es sich die ersten, hübsch eingefriedet in Absperrungen, mit Getränk am Boden gemütlich gemacht. Ganz draußen schüttete Bonifatius aus allen Kübeln. Aber Schirme durften nicht in die Säle. Da es dort nicht regnet, können grundsätzlich und berechtigter Weise gefährliche Zweckentfremdungen unterstellt werden, wie das schlagartige Aufspannen neben älteren Personen oder das Erstechen von Pianisten. Alles schon dagewesen!

Die haben Nerven: Drowning Suns beim Selfie-Machen mit Publikum in der Black Box. Foto: Michael Grill

Wer also eine halbe Stunde angestanden war und seinen Schirm nicht aufgeben wollte, ging dann noch einmal hinaus, wo Willy Michl ein Isarflimmern mitten im Paradies beschwor und etwas über den Wasserkreislauf und die Erdmutter erzählte.

Dergestalt mit der Sinnhaftigkeit der Nässe wieder versöhnt, raffte man sich noch einmal auf, belagerte schirmlos den Carl-Orff-Saal und trocknete schnell bei Maria Rui und danach bei Lottchen.

Die Portugiesin Maria Rui, die sich mit dem typisch portugiesischen Fado-Gesang auskennt und Raumfahrttechnologie studiert hat, wie uns Clemens Nikol erklärte, was uns egal war, weil wir noch ganz im Nachsinnen über die Erdmutter waren, singt Lieder des Alltags mit außergewöhnlicher weicher Kraft. Über die Akzente des Trios hinweg spannt sich ihre Stimme wie einen Bogen, der nie abreißen könnte, der synkopisch alles verbindet. Und auch in ihrem Tonumfang scheint kein Bruch zu sein. Mühelos, stark, ohne Anspannung.

Maria Rui. Foto: Michael Wüst

Lottchen, Eva Buchmann und Sonja Huber, spielen minimalistisch mit Stimme und Vibraphon. Zahlenverhältnisse bestimmen auch ein literarisches Element in "Two Birds". Verdoppelungen, wie bei Kästners Zwillingen aus "Das doppelte Lottchen" führen zu Umkehrungen, Spiegelungen und Differenzen. Diese sich multiplizierenden Abbildungen bleiben geordnet wie in einem Kaleidoskop. Two Birds, one Tree - one Dream, two Views - one Fish, one Cat - one Wheel, two Dice - macht? One Tree - one Truth. David Lynch würde es gefallen.

Aber auch Dr. Will würde Applaus von dem Regisseur der Rätsel bekommen. Obwohl hier sinnlich das absolute Gegenteil herrscht. Man imaginiert den Voodoo-Baron zwischen Schrumpfköpfen von grinsenden Affen, Black eyed Peas and Pussylips und verkehrt herum hängenden Truthennenkrallen. Eine Flamingo-Federboa hängt von seinem Zylinder herunter und brennt immer wieder an seiner Havanna an. Mit seinen Wizards zieht er in der Black Box gewaltig vom Leder. Die Eisenbahnschwelle, auf die er manchmal auch drischt, hat er zuhause gelassen. Trotzdem kommt sein gekrächztes "Temptation" optimal giftig rüber wie ein Glas verdreckten Absinths. Grandios!

Und es regnete immer noch. Ein siebtes Klangfest ging langsam zu Ende, von dem wir wieder einmal nur einen Teil mitbekommen haben. Wie sich Heimat, was auch das Thema der Podiumsdiskussion vor dem Fest war, anhört? Irgendwie keine Ahnung, nach wie vor. Wie der Pfiff einer entfernt vorbei fahrenden Lokomotive in einer verregneten Nacht vielleicht. Auf jeden Fall sehr, sehr unterschiedlich, falls das weiterhilft.

Das KV-Interview mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zum Klangfest finden Sie hier.

Veröffentlicht am: 16.05.2016

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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