Tannhäuser in Bayreuth - ein Roadmovie

Erlösungen eines Clowns

von Christa Sigg

Stephen Gould (Tannhäuser), Elena Zhidkova (Venus), Manni Laudenbach (Oskar). Foto: Enrico Nawrath

In Bayreuth inszeniert Regisseur Tobias Kratzer den neuen „Tannhäuser“ als Roadmovie mit schräg-schrillen Außenseitern – und der Revolutionär Wagner mischt auch mit. 

Wer bin ich? Was will ich? Und wieviel Maske brauche ich, um unabhängig zu sein? „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Geiste“, wie es Richard Wagner gefordert hat, das gelingt immer noch am besten, wenn man unterm Narrenkostüm verschwindet – darf man da nicht alles sagen? – und nicht lange am selben Ort verweilt. Was für eine bezwingende Idee also, den sowieso rastlosen Tannhäuser als Clown auf Tour zu schicken und Wagners große romantische Oper als Roadmovie anzulegen. Am Steuer sitzt das rockige Varietégirl Elena Zhidkova als herrlich kratzbürstige Venus im Glitzerbody und gondelt mit ihrem klapprigen Citroën-Bus der Revolution entgegen. Keiner sexuellen, die ist nicht nur für Regisseur Tobias Kratzer längst Schnee von vorgestern. Ganz nach dem frühen Anarcho-Wagner steht das Umkrempeln der Gesellschaft auf dem Programm, einer Gesellschaft, an deren Rande sich die stimmlich hibbelige Revoluzzer-Göttin mit ihrer schrill-bunten Truppe irgendwie durchhangelt.

Man könnte auch sagen, da wären die bärtige Dragqueen Le Gateau Chocolat, die mächtig aufgerüscht durch die Szenen stöckelt, der kleinwüchsige Oskar (Matzerath) des Manni Laudenbach und eben Heinrich Tannhäuser, ein erfolgreicher Opernsänger, der den bourgeoisen Musikbetrieb dick hat und ausgestiegen ist. Im scheckigen Frack mit oranger Perücke trottet er über die Bühne (Ausstattung: Rainer Sellmaier), und der gerne etwas träge Stephen Gould läuft in dieser Rollendeutung zur Hochform auf. Gesanglich macht ihm in dieser Partie derzeit eh keiner etwas vor. Bis zu den bitter-fahlen Tönen der Rom-Erzählung kann er eine eindrucksvolle Palette an Farben ausbreiten. All das hat beträchtlichen Unterhaltungswert, die ungleichen Vier zuckeln durch Thüringen in Richtung Wartburg – das vermitteln die fabelhaften Videos von Manuel Braun. Sie klauen Benzin, prellen die Fast-Food-Zeche, und dann hat der Spaß aber doch schnell ein Loch: Ein Polizist, der sich in den Weg stellt, liegt bald mausetot unterm Bus. Niedergefahren.

Stephen Gould (Tannhäuser), Elena Zhidkova (Venus). Foto: Enrico Nawrath

Venus stieg aufs Gas, begeht Fahrerflucht, und Tannhäuser zieht nun endgültig die Notbremse. Sein „Zuviel, zuviel“, das ihn normalerweise aus dem Venusberg treibt, macht hier mindestens genauso Sinn. Die Freiheit des fahrenden Volks ist auch nicht das Gelbe vom Ei, da hat sich Ego-Heinrich von seinem Selbstverwirklichungstrip mehr erwartet. Und also landet er auf der grünen Wiese unter dem Bayreuther Festspielhaus.

Die Wartburg-Ritter – lauter alte Ensemble-Kollegen – nehmen ihre Pause draußen, die Rom-Pilger sind zu Wagnerianern und Kulturgläubigen mutiert. Weit liegt das nicht auseinander. Und der Sängerwettstreit (Stephen Milling dominiert mit edlem Landgrafen-Bass, mit Daniel Behle ist ein Nobel-Walther im Einsatz) wird als Theater im Theater zur schrägen Persiflage auf die schon bei den Premieren arg angestaubten Wolfgang-Wagner-Inszenierungen. Dass der just wieder aufgetauchte Tannhäuser sofort in der aktuellen Vorstellung singen darf? Geschenkt! Kratzer beschert seinem Publikum den vermutlich kurzweiligsten Songcontest seit es diese Oper gibt. Denn Venus, Oskar und die Dragqueen brechen in die heiligen Hallen ein, verteilen Pamphlete mit Wagners eingangs erwähntem Spruch und hissen die Regenbogenflagge. Festspielchefin Katharina Wagner bleibt nur noch, die Polizei zu rufen, die dann – im Video – schnell anrückt und Tannhäuser abführt. Natürlich nicht nach Rom, sondern ganz zeitgemäß aufs Revier.

Der ziemlich überdrehte Bühnenklamauk ist beendet, wobei Kratzer gerade im zweiten Akt vielsagende Einblicke in die Psyche von Wagners Protagonisten gewährt. Man sieht zum Beispiel, wie Wolfram in der backstage gefilmten Videoeinspielung von Wut und Eifersucht geschüttelt wird, weil Elisabeth schon wieder auf den coolen Aussteiger abfährt. Die heftig gehypte Lise Davidsen ist eine Wucht von einem Sopran, da strömt es ohne besondere Anstrengung, an der Textverständlichkeit und vor allem an den Nuancierungen dürfte die 32-jährige Norwegerin freilich noch feilen. Und damit sind auch die emotionalen gemeint, Elisabeths Verzweiflung vermittelt sich kaum über die Stimme, dafür ist Davidsen eine mitreißende Darstellerin. Wenn sie auf einem Schrottplatz vergeblich auf Tannhäuser wartet und ihrem Dasein nun ernstlich ein Ende setzen will – die Unterarme erzählen ausführlich von früheren Suizidversuchen –, liegt tiefe Hoffnungslosigkeit in ihrer selbstquälerischen Suche. Auch deshalb wirft sie sich Wolfram an den Hals, verkörpert vom ungemein feinfühligen, nie larmoyanten Markus Eiche. Der darf sich mit der immer noch Angebeteten in den alten Citroën verziehen zu einem letzten demütigenden Quickie – im Clownskostüm Tannhäusers.

Lauter Verlierer bleiben hier zurück, aus den Pilgern sind Penner geworden, da geht die Regie dann nicht mehr auf, und auch Tannhäuser findet nach den letzten reumütigen Tönen den Tod. Doch über allem leuchtet Le Gateau Chocolat: Das Queere, die Dragqueen, hat es ganz nach oben ins Showbiz geschafft und glitzert auf einem riesigen Werbeplakat mit einer Luxusuhr um die Wette. Liebe? Ist eine Illusion. So, wie Tannhäusers und Elisabeths gemeinsame Fahrt ins Happy-End nur auf der Leinwand existiert. Da steckt in Kratzers Ansatz auch so etwas wie Moral, zumindest solange jeder um sich selbst kreiselt. Wenn man will.

Und die Musik? Gerät oft genug ins Abseits und wird zum umspülenden Soundtrack. Die optische Überwältigung ist ja auch beträchtlich. Aus dem Graben kommen allerdings auch zu wenige Akzente. Valery Gergiev, Russlands Pultstar mit überquellendem Terminkalender, dreht mal sportlich mit zupackendem Gestus, dann wieder allzu zaghaft an der Kurbel, so dass der Fluss fast zum Erliegen kommt, und die Sänger nach Luft japsen. Das Orchester gerät dennoch nie aus der Spur, das mag nicht zuletzt mit der Erfahrung der Musiker und ihren Stimmführern zu tun haben. Die wollen Wagner spielen, opfern ihren Urlaub. Für Gergiev scheint der Hügel dagegen nur ein weiterer Stempel im Wanderpass zu sein.

Bayreuther Festspiele bis 30. August 2019, www.bayreuther-festspiele.de. Tannhäuser wieder am 21. und 25. August 2019.

Veröffentlicht am: 21.08.2019

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