Ausstellung "Democracy will win" im Literaturhaus
Demokratie im Wandel ihres Verfechters
Thomas Mann und seine Tochter Elisabeth 1946 in Pacific Palisades. Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv Signatur: TMA_2412
„Not ‚America first‘ but ‚Democracy first’ and ‘Human dignity first’ is the slogan which will really lead America to first place in the world.” Dieses Zitat stammt nicht etwa von Trump-Herausforderer Joe Biden, sondern von Thomas Mann und ist aus dem Jahr 1941. Der Einsatz des Schriftstellers für die Demokratie – er lebte von 1938 bis 1952 im US-Exil – hat in den letzten Jahren enorm an Aktualität gewonnen. Das Literaturhaus widmet ihm deshalb unter dem Motto „Democracy will win“ eine Ausstellung, die wort- und bildreich in die Mitte des 20. Jahrhunderts entführt. Star der Schau ist die Villa, in der die Manns während und nach dem Zweiten Weltkrieg wohnten.
Das "Weiße Haus des Exils" auf einer Aufnahme zwischen 1942 und 52. Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv Signatur: TMA_8111
Vor allem war es das Buch „Das Weiße Haus des Exils“ von Frido Mann, das Kuratorin Tanja Graf zu der Schau inspirierte. Der Sohn von Michael Mann und Enkel Thomas Manns hat es 2018 veröffentlicht, kurz bevor die deutsche Bundesregierung Manns Villa im kalifornischen Pacific Palisades für 13 Millionen Euro zurückkaufte, um sie in ein Kultur - Begegnungszentrum umzuwandeln. Frido Mann kehrt darin in das Haus zurück, in dem er als Kind lebte, streift durch die Zimmer und Gänge und berichtet ausführlich von seinen Kindheitserlebnissen mit den Großeltern, die er außerdem in Relation setzt zu den politischen Geschehnissen, die damals und später seinen Großvater beeinflussten. Genau diese Villa ist nun auch das Herzstück der Ausstellung im Literaturhaus: Der Besucher wandert durch eine Nachbildung von Thomas Manns Arbeitszimmer, flaniert über die Terrasse und durchschreitet einen Hallway, stets geführt von den Begriffen Herkunft, Zeitgeist, Bekenntnis, Handeln und Verantwortung.
Dabei bildet der Hallway mit den Plänen und dem Modell des Thomas Mann House, wie die Villa heute heißt, das charmante Herzstück. Mann, seine Frau Katia und ihre Kinder zogen nicht etwa nur ein in das helle, weiße Haus mit den Glasfronten, sie ließen es bauen – und so sieht der Betrachter gut, welchen Rang der Schriftsteller sich selbst und seinem Schaffen gab, nämlich den ersten. Ein ganzer Flügel des Hauses ist ihm vorbehalten, im Erdgeschoss liegt sein Arbeitszimmer, durch eine Mauer abgetrennt von der Familienterrasse, im ersten Stock darüber sein Schlafzimmer (die Manns machten lit-apart). Auf Plänen spaziert der Betrachter im Geiste durch den Salon und die Kinderzimmer, und wer nicht genug bekommen kann von der virtuellen Tour, sieht sich auf einem Bildschirm einen Film an, in dem Frido Mann, persönlich durch die Villa führt und aus der Erinnerung berichtet – ein Juwel. Das Ganze ist deshalb nicht eitle Architektur, weil aus dem Dichterflügel dieses Traumhauses ja tatsächlich bedeutende Werke gekommen sind: unter vielem anderen der „Doktor Faustus“, den Mann hier schrieb, aber auch die Radiosendungen „Deutsche Hörer“, in denen Mann das Wort an seine Kompatrioten richtete. „Es sind bereits siebenhunderttausend Juden von der Gestapo ermordet oder zu Tode gequält worden (…). Wißt ihr Deutsche das? Und wie findet ihr es?“, formulierte er hier.
Im nachstilisierten Arbeitszimmer erwarten den Betrachter Schriften, Möbel und Tonbandgeräte aus Thomas Manns Exil-Jahren. Foto: Isabel Winklbauer
Dass Thomas Mann nicht immer so ein großer Verfechter der Demokratie war, erfährt der Besucher im größten Raum, dem Arbeitszimmer. Manns politische Biografie wird hier entsponnen, vom kriegsbegeisterten Monarchisten zum Republikaner und Amerikaner und schließlich zum von Amerika enttäuschten Schweizer Exilanten. „Fort also mit dem landfremden und abstoßenden Schlagwort ‚demokratisch‘! Nie wird der mechanisch-demokratische Staat des Westens Heimatrecht bei uns erlangen.“ – auch das ist Thomas Mann, in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ von 1918. Das Bekenntnis zur Demokratie folgte allerdings wenig später in der Weimarer Republik. Genau ist der Wandel in der Ausstellung nicht nachzuvollziehen, doch der Mord an Walter Rathenau scheint Mann nachhaltig abgestoßen zu haben. „Rathenaus Ende bedeutete auch für mich einen schweren Choc (…)“, schreibt er im Juli 1922, und schon bald folgen Schriften zu Gunsten der Republik. Ebenso dezidiert wendet sich Mann nach 1945 gegen die These der „Inneren Emigration“, die jene Dichter verfechten, die still unter dem Nationalsozialismus ausharrten. „Das böse Deutschland, das ist das fehlgegangene gute (…) im Unglück, in Schuld und Untergang.“, urteilte er 1945 alle im Land Gebliebenen gemeinschaftlich ab. Wiederum zehn Jahre später, während der McCarthy-Ära, war er aber auch in der Lage, sein lieb gewonnenes Amerika kritisch zu hinterfragen. Er kehrte den USA den Rücken und zog in die Schweiz.
Blick aus dem Gang in die nachgebaute Loggia, dahinter die Terrasse mit Bildschirmen und Palmenblick. Foto: Thomas Dashuber
Auf der Terrasse schließlich, wo sogar der Ausblick auf die kalifornischen Palmen in die Fenster des Literaturhauses gehängt wurde, kommentieren Manns denkerische Nachfolger, darunter Willy Brandt, Edward Snowden, Chelsea Manning und Greta Thunberg, auf gestapelten Fernsehmonitoren direkt oder indirekt den Zustand der Demokratie. Fest steht: Demokratie wandelt sich ständig im Innern ihrer Bewahrer. Auch ein Kriegsverfechter kann Demokrat werden, und auch ein Amerikaner kann der Demokratie zuliebe Amerika kritisieren. Ein Katalog, in dem noch einmal alles nachgezeichnet ist, ergänzt die kleine, reichhaltige Ausstellung.
„Thomas Mann: Democracy will win!” - Literaturhaus, Salvatorplatz 1. Noch bis 31. August 2020, täglich 11 bis 18 Uhr. Eintritt 7,-/5,- Euro.