Buchvorstellung "Democracy will win" im Literaturhaus
Intuition schlägt Institution
Frido Mann, Enkel von Thomas Mann, ist ein König des autobiografischen Sachbuchs. Er blickt auf eine Lebensgeschichte zurück, aus der seine Anhänger immer wieder etwas hören wollen, dazu besitzt er umfassende Bildung und Weltgewandtheit, weshalb er die Gattung ohne Hemmungen zelebriert. Schließlich ist sie nicht für jeden praktikabel, daraus schöpft er die Kraft für seine Schriften. „Democracy will win“ heißt die Jüngste – die politisch-gesellschaftliche Erzählung erlebte im Literaturhaus eine bejubelte Vorstellung.
Bemerkenswert an „Democracy will win“ ist, dass Mann sich in diesem Spätwerk weiter von seinem berühmten Großvater absetzt als in früheren Publikationen. Zwar ist der Ausgangspunkt Thomas Mann, der 1938 die Vortragsreihe „The Coming Victory of Democracy“ hielt und in Anlehnung an die er in einem Interview bekräftigte: „Democracy will win.“ Doch von hier geht die Reise schnell in die Lebenswelt des Frido Mann. Der Leser erfährt, wie die Bundesregierung 2018 die Exil-Villa Mann in Pacific Palisades kaufte, in ein transatlantisches Begegnungs- und Kulturzentrum umwandelte und sich das Leben des Enkels dadurch plötzlich überraschend politisierte: Statt Romanen und Lesebüchern widmet er sich seither der deutsch-amerikanischen Freundschaft und der Verteidigung der Demokratie.
Auf diesem Gebiet versucht Mann nun gar nicht erst, sich groß wissenschaftlich abzusichern. Er nimmt den Leser einfach mit auf eine Panoramafahrt durch sein Leben der letzten drei Jahre. Man sitzt mit ihm auf der heimischen Terrasse in München, weiht das Mann House in den USA ein, geht mit ihm auf Vorlesungsreise durch die Staaten, besucht Klöster im Salzburger Land, hört Konzerte und sieht mit ihm während des Lockdowns online die Lange Nacht der Demokratie. Zwischendurch vergleicht und unterlegt er seine Gedanken immer wieder mit wissenschaftlichen Publikationen, aber nicht stählern-sachlich, sondern mit der Leichtigkeit eines Bildungsbürgers, der natürlich den Austausch und die Rückversicherung sucht. Prominent sei hier Hannah Ahrendt (1906 – 1975) genannt. Die deutsch-amerikanische Politpublizistin zitiert er immer wieder zum ursprünglich-amerikanischen Demokratiebegriff und stellt sie so gewissermaßen seinem Großvater zur Seite. Genau genommen werden hier Thomas Manns frühe politische Ideen als unreif eingeordnet. Ein Kunstgriff, der nicht unsympathisch wirkt. Schließlich hat schon mancher in dem Literaturnobelpreisträger, der als junger Mann Monarchist war und während der 1920er Jahre zum Demokratietrend umschwenkte, Opportunismus geargwöhnt. Darauf will sich Frido Mann offenbar nicht verlassen. Er stellt lieber seinen eigenen Kanon an Gewährsleuten zusammen: Hanna Ahrendt und Martin Buber für das frühe 20. Jahrhundert, aber auch Charles Taylor, Georg Diez und Emanuel Heisenberg sowie mehrere andere Autoren unserer Zeit, die sich intensiv mit Demokratie befasst haben. Er scheint ein klein wenig überzeugterer Demokrat zu sein als sein Opa.
„‘Democracy will win‘ – ist das nicht zu optimistisch?“, will Marie Schoess, die den Gesprächsabend im Literaturhaus moderiert, als erstes wissen. Frido Mann erklärt daraufhin die Demokratie nicht als endgültige, einmal zu etablierende Staatsform, wie die Generation seines Großvaters sie noch im Sinn hatte, sondern als lebendiges Wesen, das ununterbrochen neu entsteht. „Mit dem Titel ist ein kämpferisches Moment gemeint“, erklärt er. Sein Buch sei auch deshalb spannend, identifiziert Schoess weiter, weil er darin das beste Mittel in diesem ständigen Kampf um die Demokratie nennt: den Dialog. Genauer gesagt, den partnerzentrierten Dialog, wie er ihn tauft. „In der Demokratie gibt es keine feudalistische Vorgabe von oben. Der Mensch hat einen freien Willen und kann ihn umsetzen. Das erfordert üben und lernen“, erläutert er. Womit er beim Kern seines Werks landet.
Denn mit üben und lernen ist nicht zuletzt das Einlassen auf die Gedankenwelt des vielleicht andersdenkenden Dialogpartners gemeint. Dies soll laut dem Schriftsteller – der übrigens ursprünglich Diplom-Pianist und -Organist sowie Doktor der Psychologie und der Theologie ist – dadurch geschehen, dass man erst die eigenen ideellen Wurzeln auslotet, um Sicherheit auf dem Weg zum Gegenüber zu gewinnen. Nur so funktioniere eine echte Begegnung.
Mit 81 immer noch neugierig genug, um sich zu vergaloppieren: Frido Mann. Foto: Wolfgang Schmidt Ammerbuch
Mit dieser These, die er auch auf eine politische Ebene bringt, steht Mann erstmals relativ allein auf freiem Feld – und vergaloppiert sich auch ein paar Mal in die falsche Richtung mit Beispielen für das gute Gelingen. Zum Beispiel bezieht er sich auf den Erfahrungsdialog, wie ihn eine kleine Einrichtung namens Weltkloster in Radolfzell am Bodensee praktiziert: Geistliche aus verschiedenen Religionen träfen sich auf die Einladung desTrägervereins Weltkloster e.V. zum meditativen und kommunikativen Austausch, erzählt er, und lernten so, einander besser zu verstehen. Eine kurze Recherche ergibt jedoch, dass es keine einzige fundierte Publikation noch irgendeinen Ergebnisbericht aus dieser wenig vernetzten Einrichtung gibt, die seit 2019 keine eigenen Räume mehr hat – und in der Mann selbst Vorstandsmitglied ist. Es handelt sich um einen Beleg mit dem eigenen Steckenpferd. Im Gespräch mit Schoess, andererseits, verweist Mann auf die Gesprächsförderpraxis von Dirigent Daniel Barenboim, der in seinem West-Eastern-Divan-Orchestra einen israelischen und einen arabischen Musiker gemeinsam an einen Notenständer zu setzen pflegt, damit beide das A stimmen und sich dabei kennen und schätzen lernen. Die Anekdote hat einen riesigen Bart, Barenboim erzählt sie seit über einem Jahrzehnt, doch Mann verkauft sie wie frische Erdbeeren. Dabei wissen interessierte Leser seit einigen kritischen Artikeln, dass es auch in Barenboims – durchaus ehrenvollen, hör- und förderungswürdigen – Divan nicht immer nur märchenhaft kommunikativ zugeht.
Immer wenn es um institutionalisierte Gesprächsübungen unter Anleitung geht, ist „Democracy will win“ wenig überzeugend. Moderatorin Schoess erkennt mit scharfem Blick, wann es dagegen richtig gut wird: „Sie haben ein Bewusstsein für das, was unter der rationalen Oberfläche steckt.“ Kann man sich Frido Mann in einem Gesprächskreis sitzend vorstellen und den Anleitungen einer Klostervorsteherin folgen? Eher weniger. Ein von Geburt an zu allen Taten freier Mensch wie er versenkt sich in die Natur und in den Sonnenuntergang. Er geht am Pazifik spazieren und lässt seine Kindheit im noch nicht entnazifizierten Örtchen Strobel am Wolfgangsee Revue passieren. Er verbringt eine ganze Nacht alleine meditierend in der Kapelle des Europaklosters Gut Aich, um sich mit der üblen Vergangenheit der Gutshofgebäude auseinanderzusetzen. Oder er sitzt im Beethoven-Jubiläumskonzert des East-Western-Divan-Orchestra und lässt einfach nur die Musik auf sich wirken. In all diese Situationen nimmt er den Leser mit. Der Alleingang macht ihm nichts aus, er weiß durch solche Seelenwanderungen, wer er ist und dass er andere Meinungen gut verträgt, weshalb er sich bis ins Alter Neugier und Offenheit erhalten hat. „Je mehr ich bei mir bin, desto sicherer kann ich auf die andere Seite (der fremden Meinung, d. Red.) gehen. Das ist ein Grundgesetz“, erklärt er der Moderatorin – im Gespräch mit der letztlich auch die Frage aufgekommen war, ob man denn durch den partnerzentrierten Dialog auch harten Knochen wie Trump oder rechtslastigen Afd-Anhängern beikommen könnte. „Es geht“, konkludierte Mann, „aber man muss für den Anfang ja nicht gleich in die schwierigste Situation reingehen“.
Intuition schlägt Institution um Längen in „Democracy will win“. Das Literaturhaus und seine Besucher erlebten mit diesem Abend eine Sternstunde, wie man sie sich nach dem langen Lockdown nicht interessanter hätte wünschen können.
Frido Mann: „Democracy will win. Bekenntnisse eines Weltbürgers.“ Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 29 Euro.
In einer früheren Fassung dieses Artikels wurde Thomas Manns Vortrag "Democracy will win" als Teil der Radioserie "Deutsche Hörer" (1940-45) bezeichnet. Dieser Fehler wurde korrigiert.