Frank Vorpahl, der seit 25 Jahren über Heinrich Schliemann forscht, im Interview mit Christa Sigg

Ewiger Traum von Gold und Ruhm

von Christa Sigg

Das futuristische Troja-Museum. Foto: Frank Vorpahl

Vom Krämergehilfen zum Millionär und schließlich zum „Entdecker Trojas“: Kaum ein Deutscher hat die Fantasie der Menschen so beflügelt wie Heinrich Schliemann. Gold bestimmte dieses Leben. Das begann zwar in bitterer Armut, aber bald schon kommt Heinrich Schliemann (1822 – 1890) zu beträchtlichem Reichtum. Er könnte es sich gemütlich machen, doch da sind die Mythen Homers und das alte Troja, die den Selfmade-Archäologen antreiben, nach sagenhaften Schätzen zu graben. Zum 200. Geburtstag blickt der Historiker Frank Vorpahl auf den bildungshungrigen Abenteurer – in seinem Buch „Schliemann und das Gold von Troja“ und verdichtet in einer TV-Doku.

Je länger man sich mit Heinrich Schliemann beschäftigt, desto weniger greifbar wird er. Was hat diesen steinreich gewordenen Pastorensohn bei der Goldsuche angetrieben?

FRANK VORPAHL: Heinrich Schliemann war keine Goldgräbernatur, er hatte vielmehr den Wunsch, berühmt zu werden. Warum? Er muss mit 14 vom Gymnasium, weil der Vater trinkt, das Geld verprasst, rumhurt, gewalttätig ist. Also wird Heinrich Krämergehilfe in Fürstenberg an der Havel und erweist sich bald schon als äußerst geschickter Geschäftsmann. Doch es bleibt zeitlebens das Gefühl eines Bildungsdefizits. Als Schliemann genug Geld gemacht hatte – am Ende mit Salpeter- und Schwefellieferungen für den Krimkrieg –, wollte er intellektuell nachrüsten. Bildung und Ruhm, darum ging es ihm.

Dafür ist er um die ganze Welt gereist.

Und ganz ohne Vorbehalte. Schliemann war überhaupt nicht nationalistisch, es gab für ihn keine „niederen Rassen“, und er gehört zu den wenigen kosmopolitischen Deutschen dieser Zeit. Allein 20 Jahre lebt er in Russland, ein Jahr in Sacramento, wo er mit den Rothschilds eine Bank gründet, drei Jahre in Paris, dann kommen die Ausgrabungen in der heutigen Türkei und in Mykene. Er lässt sich in Athen nieder, bereist China, Japan und unternimmt im höheren Alter eine Nilreise. Dieser Mann ist ständig unterwegs.

Schliemann beherrscht ja auch mehrere Sprachen, oder übertreibt er da?

Er sprach über zehn Sprachen. Ich war in der Gennadius-Bibliothek in Athen, wo sein Nachlass liegt. Unter unglaublichen 100.000 Dokumenten findet man Übungsbücher fürs Arabische und sogar Dokumente in Finnisch, obwohl er dort nie war. Schliemann hat Wert darauf gelegt, in der jeweiligen Landessprache zu sprechen und genauso Tagebuch zu führen. Er konnte auf Polnisch, Litauisch, Russisch, Englisch, Französisch, Holländisch kommunizieren… Die Sprachen waren sein Kapital. Vielleicht haben wir heute nicht mehr diese strenge Disziplin. Schliemann ist ja auch jeden Morgen um vier aufgestanden. Für den Ausgräber ging es 20 Jahre lang als erstes per Pferd ans Meer zum Schwimmen, ob in Troja oder Athen. Aber wäre er nicht so strikt mit sich umgegangen, hätte er nicht annähernd diesen Erfolg gehabt.

Trotzdem wird Schliemann nicht von allen Archäologen bejubelt.

Schliemanngraben. Foto: H. Schliemann in seinem "Atlas trojanischer Alterthümer"

Er ist aber groß genug, um den kritischen Blick auszuhalten. Sicher, Schliemann hat sich in Troja um 1000 Jahre vertan. Er lässt in Hissarlik ganze Kulturperioden als Schutt entsorgen und verursacht den so genannten Schliemann-Graben. Aber er hat die erste große Hochkultur des europäischen Kontinents entdeckt – in Mykene statt in Troja. Es ist wie bei Kolumbus. Der wollte nach Indien und hat stattdessen Amerika entdeckt. Schliemann wollte die realen Kulissen für das Troja aus Homers „Ilias“ finden. Dabei ist er eben auf das bis dato völlig unbekannte mykenische Zeitalter gestoßen. Das wird auch von den Archäologen anerkannt. Kulturinteressierte fahren heute nach Mykene, Tiryns, Orchomenos, das ist Schliemann zu verdanken.

Seine zweite Frau scheint dabei eine besondere Rolle zu spielen?

Sophia Engastromenos war Schliemanns Gallionsfigur. Er hat ganz bewusst nach einer schönen Griechin mit schwarzem Haar und griechischem Profil gesucht. Außerdem sollte sie Homer kennen und zitieren können. Sophia ist also ein wichtiger Teil seines Troja-Projekts. Dazu kam der Altersunterschied. Er war 57, sie 18, bei Millionären ist eine solche Konstellation bis heute nicht ungewöhnlich. Schliemanns Plan ging jedenfalls auf: Jeder kennt das Porträtfoto von Sophia mit dem großen Diadem aus dem „Schatz des Priamos“.

Perfektes Marketing?

Objekte aus dem Schatz des Priamos. Foto: Frank Vorpahl_

Das beherrscht Schliemann wie kein Zweiter. Auch als er 1876 die erste Goldmaske in Mykene findet, telegrafiert er sofort an den griechischen König Georg I.: „Habe Überreste von Agamemnon, Klytämnestra…“ Doch dann entdeckt er einen Tag später eine zweite, dritte, vierte, fünfte Goldmaske und hat ein Problem. Welche ist nun die richtige? Die vierte mit dem Bärtchen sah am eindrucksvollsten aus und ging schließlich mit dem Schliemann-Etikett als „Maske des Agamemnon“ um die Welt.

Auf der anderen Seite arbeitet Schliemann als Korrespondent für die seriöse Augsburger Allgemeine. Wie geht das zusammen?

Es ist die Zeit der Fortsetzungsromane. So halten Charles Dickens und viele andere ihr Publikum bei der Stange. Netflix macht das heute genauso erfolgreich. Schliemann musste jeden Monat liefern, das dürfte seine Fantasie beflügelt haben. Dann fand er eben im Zeitungsartikel Bedeutenderes, als es tatsächlich der Fall war, und hat sich das passend zu den anderen Funden zurechtgebogen.

Wo bleibt da die solide Wissenschaft?

Schliemann hat irgendwann Wilhelm Dörpfeld, den Assistenten von Ernst Curtius, von Olympia abgezogen. Auf ihn geht ein Gutteil seines archäologischen Knowhows zurück. Dörpfeld gilt heute als der Schöpfer des modernen Grabungswesens, und man darf davon ausgehen, dass er den ungeduldigen, wenig zimperlichen Schliemann diszipliniert hat. Auch diese letzten zehn Jahre mit der Entdeckung der mykenischen Hochkultur war nur im Zusammenwirken mit Dörpfeld möglich. Er hat übrigens nach Schliemanns Tod in Troja weitergegraben, finanziert von dessen Ehefrau.

Was war Sophia Schliemann für eine Persönlichkeit?

Eine glühende Patriotin! Griechenland ist für sie die Wiege des Abendlandes, das gefällt Schliemann. Sie ist sehr gebildet und entsprechend selbstbewusst, das behagt ihm wiederum gar nicht. In dieser Ehe kriselt es ständig, aber Schliemann ist für eine typisch großzügige Griechin schlicht unmöglich. Ein Millionär, der kein Trinkgeld gibt, in der dritten Klasse reist und an der Unterwäsche spart! Kurzum: Sophia heiratet zunächst wegen des Geldes, das sagt sie ihm auch, und bekommt den knickerigsten Ehemann weit und breit.

Trotzdem ließ sich Schliemann vom angesagten Architekten Ernst Ziller eine Prachtvilla in Athen errichten.

Ziller hat dort auch das Parlament, die Nationalbibliothek und vieles mehr gebaut. Auf seinen Freund Schliemann ging er in besonderer Weise ein und entwarf ihm ein auf Troja abgestimmtes Haus. Überall an den Wänden sind Zitate Homers zu lesen, die Szenen der Ilias zieren die Decke. Alles ist durchgestylt und eine einzige Selbstinszenierung. Schliemann, der nur 1,57 Meter groß war, ließ sich sogar einen Stuhl bauen, auf dem er höher saß als seine Gäste. Die Leute sind dennoch zum ihm geströmt. Dabei sprach er ständig altgriechisch, und sein Diener Ödipus hatte auf dem Balkon Verse aus der „Ilias“ zu singen. Das muss seltsam geklungen haben, doch dieses spleenige Haus zwischen Königspalast und Universität war der Society-Hotspot in Athen. Nur für die Kinder Agamemnon und Andromache und die Ehefrau war kaum Platz in diesem Museum.

Welche Rolle könnte dieser spleenige Heinrich Schliemann heute spielen?

Bei seinem Interesse an neuen Technologien wäre er eine Art Elon Musk. Schliemann hat in Troja Eisenbahnen eingesetzt und dafür eigens Ingenieure geholt. Außerdem führte er als Erster die Fotografie auf seinen Grabungen ein, deshalb ist das alles so gut dokumentiert. Und er war ein Freund schneller Nachrichten aus dem Telegrafen, schrieb selbst viele Telegramme. Schliemann wäre heute der Twitterkönig, er würde aber auch viele Fake News in die Welt setzten.

Sie sind an die Orte des Geschehens gefahren. Hat sich Ihre Sicht auf Schliemann verändert?

Das betrifft tatsächlich die Fake News. Als der „Schatz des Priamos“ vor 25 Jahren in Moskau aufgetaucht ist, gingen wir alle davon aus, dass Schliemann ihn am 31. Mai 1873 zusammen mit seiner Frau Sophia gefunden hat. Inzwischen steht fest, dass sie an diesem Tag bei ihrem sterbenden Vater in Athen war. Also fragt man sich, was noch alles falsch dargestellt ist. Schliemann hat mit Königen korrespondiert, mit dem britischen Premierminister, mit Geschäftsleuten, mit der Familie. Dabei verstrickt er sich oft in Widersprüche. Allein der Brief an seinen französischen Makler in Paris offenbart eine weniger schöne Seite. In dem äußert Schliemann die Bitte, einen Juwelier zu finden, der sein Gold aus Troja notfalls nachmachen kann.

Wie?

Die Kopien wollte Schliemann wohl den Türken unterjubeln, um sie ruhig zu stellen. Ich habe auch Rüstem Aslan, den Grabungsleiter von Troja, getroffen. Der hat mir wiederum viele osmanische Quellen gezeigt: Polizeiakten zum Beispiel, wie Heinrich Schliemann seinen „Schatz des Priamos“ 1873 außer Landes geschmuggelt hat. Präsident Erdogan hat in diesen Tagen eine Troja-Ausstellung in Istanbul eröffnet und den „Schatz des Priamos“ für die Türkei zurückverlangt.

Sie haben auch die kürzlich verstorbene Irina Antonowa besucht, die lange Direktorin im Puschkin Museum war. Dort ist der Schatz des Priamos ausgestellt. Was hat sie Ihnen gesagt?

Wir haben uns erst auf Russisch unterhalten, und als es dann um Eigentumsfragen ging, wechselte sie abrupt ins Deutsche. Schliemann mag den Schatz des Priamos dem deutschen Volk „zu ewigem Besitze“ vermacht haben, für Frau Antonowa war aber völlig klar, dass dieser Fund in Russland zu bleiben hat. Und zwar nach allem was die Deutschen den Russen im Krieg angetan hätten. 90 Prozent der Beutekunst wurde zurückgegeben, das sei jetzt ein „kleiner Rest“. Bei diesem für sie „symbolischen Gold“ blieb Antonowa die „Eiserne Lady der Beutekunst“ wie man sie kennt.

Gibt es dennoch eine Chance, den Schatz in Deutschland zu zeigen?

Copyright Galiani Berlin

Bestimmt. Angela Merkel hat die Rückgabeansprüche gegenüber Wladimir Putin 2013 wiederholt – sie stimmen mit dem Völkerrecht überein. Aber danach ging eben nichts mehr. Die neue Bundesregierung könnte nun wieder einen Versuch starten. Allerdings unter anderen Vorzeichen, denn an den Eigentumsverhältnissen wird sich vermutlich nichts mehr ändern.

Das heißt?

Vorpahl: Man müsste den Russen eine Rückgabegarantie geben. Davon würde ja nicht nur die große Schliemann-Ausstellung ab Mai in Berlin profitieren. Der Schatz könnte dann genauso nach Istanbul, Troja und nach Athen reisen. Wenn jemand eine Initiative starten kann, sind es die Deutschen.

Frank Vorpahl: „Schliemann und das Gold von Troja. Mythos und Wirklichkeit“ (Galiani Berlin, 368 Seiten, 24 Euro); „Der Schatz des Priamos“, Filmdokumentation von Frank Vorpahl, in der 3sat-Mediathek.

Zur Person Frank Vorpahl: Der Historiker aus Berlin, Jahrgang 1963, arbeitet als Chef vom Dienst beim ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“. Seit 25 Jahren forscht er über Heinrich Schliemann und das Gold von Troja. Bei Galiani ist von ihm außerdem eine Biografie über den Welterkunder Georg Forster erschienen.

Veröffentlicht am: 10.03.2022

Andere Artikel aus der Kategorie