Klangfest 2022 erstmals im Werksviertel

Der Himmel geht auf und zu über 32 Bands auf vier Bühnen

von Michael Wüst

Buck Roger & The Sidetrackers. Foto: Michael Wüst

Zehn Jahre lang war das „Klangfest“ im Gasteig am Rosenheimer Berg ein fester Termin im Kalender von Musikfans jeder Altersgruppe über München hinaus. Dann legte eine aus bekannten Gründen notwendige „Verschnauf“-Pause für mehr als zwei Jahre das gesellschaftliche und vor allem kulturelle Leben lahm. Dies geschah zu einer Zeit, in der noch dazu der Umbau großer Kulturinstitutionen, auch den Gasteig betreffend, anstand. Vor zwei Jahren war bereits klar gewesen, dass ein erstes postpandemisches Klangfest nicht im Gasteig würde stattfinden können, wie auch klar war, dass das Werksviertel-Mitte am besten imstande wäre, mehr als 30 Bands an einem Tag den Auftritt zu ermöglichen.

Und so kam es auch, wohl mit einiger Hektik im Vorfeld: Am Sonntag, 11. September, sah man mittags dann die ersten Besucher mit Kapuzen sich auf dem Gelände orientieren, Soundchecks in verschiedener Richtung auf der Spur, das Programm mit 32 Bands, die dicht getaktet auf vier Bühnen zu erleben waren, in der Hand. Es schüttete ein paar mal kräftig, das gab's auch früher öfter an Pfingstsonntagen auf dem Rosenheimer Berg.

„The Lone Dining Society“ meistert den trübgrauen Start in diesen Tag der Live-Musik unter einem tröpfelnden Rig mit dem Charme von Vaudevillians, die auf ihrer Reise in die Vergangenheit schon von Großeltern der Flower-People über das Feeling einer zukünftigen Bay Area und ihrer Hippie-Generation gehört haben mussten. Hippie-heiter springen sie noch weiter durch Dekaden des Pop und streifen in einer Cabaret-artigen Mischung mit zwei Vokalstimmen, Geige, Mandoline, Trompete, Posaune und Rhythmusgruppe in einer Magical Mystery Tour Frank Zappa, David Byrne und Talking Heads. Ein humorvolles Spiel mit den Retrobewegungen des Pop. Very charming.

Mit der Lebensfreude der Band um Ian Chapman samt schöner Sängerin im großen Roten hellte sich der Himmel auf und wir schauten schnell in die "TonHalle" zu den "Federnelken", die schon mittsommers auf der Freilichtbühne zu hören gewesen waren. Ihr Debut „Endlich reich“, für das sie das Motto „vom Hirschbachstüberl zum Mittleren Ring“ gewählt hatten, startete punktgenau in die ersten scharfen Corona-Maßnahmen, ließ sie aber nicht nach Lenggries umkehren. Sie bissen sich durch die FFP2-Masken durch und sind wieder da auf dem Asphalt harter Riffs, aus dessen Rissen Sängerin Vroni ihre Texte wachsen lässt. Energisch.

„Spui´maNovas“ machen derweil Kulturen-übergreifende Stimmung mit Bagpipe und Hurdy-Gurdy (Drehleier) und verschiedenem Rockgerät und decken das sich sammelnde Publikum auf dem Knödelplatz mit ihrem Credo ein: „Auseinander und wieder Zamm“. Vor allem das Wetter tut dem gleich, der Himmel geht auf und zu.

Im Theater Werk 7 müssen sich Augen und Fotoapparat erst mal an die Dunkelheit gewöhnen. Aber das ist ok, denn der hohe Raum mit den 700 sportlichen Schalensitzen lässt sich so auf die unteren Ränge der U-förmigen Tribüne verkleinern. Nebenan unterhalten sich die Klangfestmoderatoren Michaela Kühnemann, Oliver Hochkeppel, Dirk Wagner, Jürgen Jung und Michael Grill leise mit Musikern nach deren Auftritt, während wiederum nebenan der Inder Amid den Sound seiner Holzquerflöte probt. Gemeinsam mit Atta an der E-Mandoline werden die beiden die Raga-Idiome vorgeben, auf die der Bläsersatz - bestehend aus Altsaxohon, Baritonsaxophon, Querflöte und Flügelhorn - mit herrlichen Satzlinien antwortet, die an Abdullah Ibrahim erinnern. Afro-arabische Teppiche, eng geknüpft, samtig leicht, ohne die sonst so überbordende String-Virtuosität. „JISR“- Initiator Mohcine Ramdan an seinem Gembri-Bass, zusammen mit einem ruhigen Shuffle am Schlagzeug und den balkanesich gefärbten Einwürfen des Akkordeonisten lassen einen mit halb geschlossenen Augen wegdriften. Klänge, die duftig fliegen.

Überhaupt entfaltet das Theater Werk 7 an diesem Tag in der Folge einen wahren Fächer an jazzigen High-Lights: „Liliath“ mit Sängerin Miriam Arens, die Pianistin Shuteen Erdenebaatar, die mit Nils Kugelmann einen Shooting-Star am Bass dabei hat und die „The Munich Lab Band“, eine Big Band von Felix Ecke und Vincent Eberle, die neue Pfade in den Parnass der E-Musik geht. „World.Wide.Wig“ aus der Unterbiberger Familie Irene und Franz Himpsl drehen unter anderem mit Marja Burchard, der Tochter des „Embryo“-Gründers Christian Burchard, und dem Drummer Magnus Dauner ein großes Weltenrad mit alternativer Jazzenergie und schließen da ab, wo „JISR“ begonnen hatte.

Stefan Sterzinger. Foto: Michael Wüst

Unbedingt müssen wir aber schnell in die Nachtkantine, wo wir gerade noch Stefan Sterzinger erwischen. Auf der intimen Bühne sitzt ein Mann in den Sechzigern mit Akkordeon, den die Aura der poetischen Gelassenheit umgibt und der Liebeslieder singt. Tanzma, tanzma – singma, singma! „I woar scho wieder I, aber jetzt brauchi di.“ Klingt, so zitiert, simpel, aber der Frontmann der früheren österreichischen Legende „Franz, Franz“ versteht es mit zarten Bewegungen, ohne Gesten, die Dinge des Lebens aufsteigen zu lassen, die großen Kleinen und die kleinen Großen, bei sich und in den Herzen der Gäste. Die Liebe ist ihm nicht abhanden gekommen. Deswegen erscheint ihm eine Schöne mit „blitzenden Fäusten“ am Osiacher See und sie tanzen. Dazu braucht es keinen Regen oder sonst einen Naturabklatsch, wie ihn neue Songpoeten aus einem Möbelhauspanorama entnehmen, nur den "Haekeldeckerl-Blues“. Großartig!

Gleich danach, Mario Knapp, allein. Von seinem Projekt „Mobile Ethnic Minority“, dem ehemaligen Trio, ist nur er übrig geblieben. Das hat schon Format. Für ihn gilt, was Handke einmal sagte: Seit ich einsam bin, bin ich ganz. Seine zart-rauhe Stimme hat Weite, er unterzieht die Gitarre auf eine eigene Art ganz den Textbewegungen, nichts läuft über das andere hinweg. Das hat einen Hauch von Instabilität, dennoch endet jedes Lied mit der Gewissheit einer festen Form. In englisch gesungen, mit den ausgerissenen Wurzelbüscheln von Woodie Guthrie, die der Wind durch Haidhausen treibt.

Also noch mal an die Luft. Und da fährt einem gleich der Sound von Buck Roger & the Sidewalkers in die Strümpf. Was hat diese Band für eine sensationelle Entwicklung hinter sich! Ein prächtiger Vier-Mann-Bläsersatz coloriert kraftvoll die Songs des spacigen Frontmanns, das klingt mal cuban, mal nach Louis Prima und geht so gut ab, dass die Leute am Schluss sich an der Bühnenkante drängen. Und weil leider der „Sound of Thunder“ aka Willy Michl aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig abgesagt hatte, bekommt Buck Roger eine Spielzeit-Verlängerung. Wenns laft, dann lafts.

Dr. Will & The Wizards- Foto: Michael Wüst

Der nachfolgend geplante Dr. Will musste sich also leicht angesäuert mit seinen Wizards im Cateringraum noch eine Limo aufmachen. Aber es wäre nicht Dr. Will, wenn er nicht mit seinem bärbeissig-magischen Louisiana-Grant das Publikum in den Abendstunden gehalten und wahrlich entzückt hätte. Uffff! Dann geht’s jetzt also selig heim und mit den Gedanken bei Willy Michl, dem wir alles Gute wünschen, geben wir uns beim neuen Stand „Ois Wurscht“ eine leckere Bosna.

Veröffentlicht am: 18.09.2022

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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