Gastrokritik zum Goldenen Kalb: Gegrillt am Katzentisch

von Michael Grill

Schicki? Micki? Hier kann man regelrechte Feldstudien betreiben. Repro: gr.

Es muss da ein Geheimnis geben: Selten hat ein neues Lokal einen solchen Raketenstart hinbekommen wie das Goldene Kalb am Viktualienmarkt. Der Grillfleisch-Tempel in den Räumen der früheren Schickimicki-Zentrale Kay's Bistro ist sowas von angesagt, dass es unheimlich wird; die Facebook-Seite ist gespickt mit Jubel-Einzeilern, die sich keine Werbeagentur schöner hätte ausdenken können. Die Betreiber definieren ihren Anspruch so: „Gehoben, aber lässig“, „kein Schickimicki“, „ehrliches Preis-Leistungs-Verhältnis“. Zu letzterem fällt zunächst auf, dass man hier Maß halten muss, wenn man bei einem Drei-Gänge-Abendessen zu zweit nicht weit über die 100-Euro-Grenze hinausschießen will, denn offene Weine beginnen bei 8 Euro pro 0,2l-Glas und das 300g-Filet möchte 37 Euro wert sein. Aber ehrliche Verhältnisse sind ja relativ.

Bei der Reservierung haben wir um einen ruhigeren Tisch gebeten und finden uns erstmal direkt an der Tür wieder. Auf unseren Protest hin dürfen wir dann an ein Katzentischlein direkt unterhalb von einer Art Empore umziehen. Das hat den Nachteil, dass man den Nachbargesprächen über den neuen Mercedes AMG ausgeliefert ist, bietet aber auch interessante Perspektiven, da auf Augenhöhe ein lokaltypisches Dekolleté Platz nimmt. Aber kein Wort gegen das Personal: freundlich, kompetent, engagiert. Sogar ein Kerzchen kommt ans Katzentischlein: „Ich mach euch mal ein bisschen Licht.“

Wir starten mit Beef Tea (7.50 – würzige Rinderbrühe, fein abgeschmeckt mit Port oder Sherry) und Lachstatar (9.50 – frisch, saftig, weich). Dann ran ans große Tier (sofern für uns bezahlbar): Die monströse Blutwurst (14.50) ist lecker wollig und ohne Grieben, die Beilagen samt Kartoffelstampf etwas fad. Das kleine Bio-Rinderfilet (200g, 29 Euro): Konsistenz und Zubereitung nahezu ideal, die Beilagen (1 Spargel, 1 Püreetropfen, 2 Minizwiebln, ein Zucchini-Bändchen) allerliebst dekorativ und würzig, die Pommes leicht cross.

Was die Freude erheblich trübt: Mittlerweile ist es unerträglich laut, denn Dezenz ist für die Kalb-Herde ein Fremdwort: Porschefahrende Extremgelträger mit teuren Lederjacken, ältere Männer mit Zopffrisuren und Bogenhausener Blondinen am Unterarm, 25jährige Unternehmererben mit heraushängenden Hemden und kunstvoll zerschlissenen Jeans, Damen, die Parkas mit der Strasssteinchen-Aufschrift „Hauptstadtrocker“ tragen. Ein Anblick, bei dem man in besten Falle melancholisch werden kann. Kein Schickimicki im Goldenen Kalb? Aber hallo, dagegen war Kay's Bistro eine Studentenkneipe.

Da loben wir lieber die vortrefflichen Nachspeisen: Schokotarte (7.50) und Apple Pie (5.50 – mit Erdnusseis wie ein Kunstwerk von Mondrian: abstrakte Perfektion, minimalistische Vollkommenheit). Sowie die sehr ordentliche Qualität des günstigsten Flaschenweins (25 Euro, Moselriesling, spritzig und doch im Abgang vollmundig wie eine Spätlese).

Was bleibt? Das Gefühl, in eine Gesellschaft eingedrungen zu sein, die unter sich bleiben will. Eine Küche, die Perlen vor die Schickeria wirft. Und die es sich deshalb leisten kann, manches preislich einen Tick zu hoch anzusetzen. Schade eigentlich um die Kunst.

 

 

Utzschneiderstraße 1, geöffnet Mo – Sa 12 bis 1 Uhr, Reservierungen unter 235 422 90, www.zum-goldenen-kalb.de

 

Veröffentlicht am: 17.06.2011

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Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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