Super-Sänger und Pastell-Dirigat: Salzburg eröffnet mit Mozarts "Figaro"
Die Sänger fürchten sich davor: wenn sie auf der Bühne alles aus sich herausholen – und das Publikum im Saal stumm bleibt. Den ersten Szenenapplaus gab es bei der Eröffnungsvorstellung der Salzburger Festspiele nach einer Stunde. Da hatte die wunderbare schwedische Mezzosopranistin Katija Dragojevic das Ständchen des Cherubino „Voi che sapete“ so herzbewegend überzeugend geträllert, dass der Schickeria im Parkett nichts anderes übrig blieb, als sich endlich erweichen zu lassen.
Den stärksten Beifall bekam später dann Simon Keenlyside als Graf Almaviva: Claus Guth hat seiner Inszenierung von Mozarts „Le nozze di Figaro“ eine zusätzliche, stumme Figur mit Engelsflügeln hinzugefügt, die den Sänger während seiner Arie „Hai già vinta la causa!“ ziemlich aufdringlich attackieren darf, ihn sogar zu Boden wirft und über die Bühne schleift. Warum? Das weiß wohl nur der Regisseur. Simon Keenlyside sang dennoch in stoischer Ruhe zu Ende. Der Saal tobte.
Statt Neuem gibt es in diesem Jahr Claus Guths Zyklus von Mozarts Da-Ponte-Opern im Paket, allerdings mit drei unterschiedlichen Orchestern und Dirigenten. Für den „Figaro“ hatte man Robin Ticciati an das Pult des „Orchestra of the Age of Enlightenment“ gebeten, ein britisches Ensemble, das mit historischer Aufführungspraxis vertraut ist. Das klangliche Ergebnis im „Haus für Mozart“ enttäuschte. Die Streicher entwickelten wenig Glanz, die Bläser blieben unverbindlich, ein paar aggressive Paukenschläge, das war's dann auch schon: Vergleiche mit den Wiener Philharmonikern, auch mit Salzburgs eigenem Mozarteumorchester, verbieten sich.
Zu allem Überfluss erfüllte auch Robin Ticciati die in ihn gesetzten hohen Erwartungen nur zum Teil. Die Aufführung dauerte länger als üblich, auch deshalb, weil der Dirigent eine unangemessen lyrische Gangart bevorzugte, sich um Pastellfarben bemühte, wo kräftige Kontraste vonnöten gewesen wären, und rhythmisch diffus blieb: als hätte es die letzten 25 Jahre, in denen sich Mozart-Interpretationen radikal geändert haben, überhaupt nicht gegeben.
Dieses Missverständnis überraschte, sollte aber angesichts der Tatsache, dass der Gipfelstürmer aus London erst 28 Jahre alt ist, keinen Beinbruch bedeuten. Auch so gab es eine Menge zu bewundern. Ein glückliches Händchen bei der Sänger-Besetzung macht diese Salzburger Wiederaufnahme vor allem hörenswert. Genia Kühmeier (Gräfin) übertrifft ihre Vorgängerin um Längen. Netrebko-Gefährte Erwin Schrott agiert als aufmüpfiger Figaro niemals überzogen oder auf den puren Effekt erpicht. Ein Superauftritt – wie auch der von Katija Dragojevic, Simon Keenlyside und der erfolgreich dem Soubretten-Fach entwachsenen Marlis Petersen (Susanna).
Selbst die kopflastige Inszenierung von Claus Guth, erstmals 2006 gezeigt, funktioniert mittlerweile prächtig. Man muss ja nicht alles verstehen.
Infos, Tickets und Termine unter www.salzburgerfestspiele.at.