Nomadin des 20. Jahrhunderts: Die Avantgardistin Ré Soupault in Regensburg
Fotografin, Essayistin, Modedesignerin, Übersetzerin und Filmerin: Der vielseitigen Ré Soupault widmet das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg eine umfassende Retrospektive. Arbeiten der ungewöhnlichen Frau stehen Gemälde und Fotoarbeiten ihrer Freunde und Weggefährten gegenüber.
„Sie werden hier ins Wasser geworfen und müssen versuchen zu schwimmen“, sagte Bauhaus-Gründer Walter Gropius seinen Schülern. Die gerade mal 19 Jahre junge Frau, die vom pommerschen Bublitz und von Kolberg aus Weimar wie einen rettenden Hafen angesteuert hatte, nahm Gropius’ Herausforderung an wie jede danach auch: Meta Erna Niemeyer lernte in Weimar zu schwimmen.
Mehr noch, sie entdeckte den Geist, der sie fortan ihr Leben lang leiten sollte, eine geradezu utopische Brüderlichkeit, fern von bürgerlichen Konventionen. „Wir lernten nicht malen, wir lernten neu sehen, neu denken und gleichzeitig lernten wir uns selber kennen“, sagte sie über ihre Zeit bei Johannes Itten und anderen Bauhaus-Größen. Bald nannte sie sich Renate, die Wiedergeborene. Diesen Namen wiederum kürzte der Dadaist Kurt Schwitters bald in „Ré“ ab.
Als sie, eben von dem Filmpionier Hans Richter geschieden, den Surrealisten Philippe Soupault heiratete, war aus Meta Erna Niemeyer die mondäne, vielvernetzte Ré Soupault geworden, eine „Künstlerin im Zentrum der Avantgarde“, wie die Ostdeutsche Galerie in Regensburg ihre sehenswerte Ausstellung zu einer der „spannendsten und kreativsten Frauen des 20. Jahrhunderts“ überschreibt. Dem darf man zustimmen: Soupaults Leben als Künstlerin ebenso wie als Knotenpunkt inmitten eines schier unglaublichen Netzwerks von Malern, Schriftstellern und Filmpionieren fesselt.
Schon am Bauhaus lernt sie Oskar Schlemmer kennen, Wassily Kandinsky, Johannes Itten, Paul Klee und Lászlo Moholy-Nagy. Sie half dem legendären Filmpionier Viking Eggling bei seiner „Diagonal-Symphonie“. In Paris gehörte sie zum Zirkel um Man Ray, Fernand Léger, Gisèle Freund, Helen Hessel, Max Ernst, Henryk Berlewi, Sonia und Robert Delaunay, André Kertesz und Alberto Giacometti. Turbulente, vorwärtsstrebende Jahre waren das, bestimmt auch vom Glauben an eine bessere und vernünftigere Welt, zu der das Gesamtkunstwerk der Bauhaus- und De-Stijl-Protagonisten einen Weg weisen sollte.
Ré Soupault hatte sich freigeschwommen und bewegte sich nunmehr ungezwungen in all diesen Strömungen. Als Ré Richter lernte sie den legendären Modeschöpfer Paul Poiret kennen. In einem von Mies van der Rohe eingerichteten Studio entwarf sie eigene Kollektionen, mit praktischen Neuerungen wie dem vielseitigen „Transformationskleid“ für die arbeitende Frau (die das hochpreisige Gewand für alle Gelegenheiten dann verschmähte) oder den Hosenrock.
Mit Philipp Soupault reiste sie durch Europa und Nordafrika und fotografierte. Sie war zunächst kein Profi, sondern Autodidaktin. Doch sie profitierte von Ittens Schule des vorurteilslosen Blicks – und schuf Aufnahmen, die sie in ihrem Gefühl für Szene und Geometrie an die Seite von Cartier-Bresson stellen. In Tunis fotografierte sie im Quartier réservé. Als erste Europäerin legte Soupault Zeugnis von diesem Ghetto ab, in dem von der Gesellschaft ausgestoßene Frauen durch Prostitution ihr Auskommen suchten. Ihre Fotos geben den Frauen Individualität und Würde. Auch als Essayistin und Übersetzerin machte Ré Soupault von sich reden. Doch vor allem in ihren uneitlen, konsequenten Fotos, denen Aufnahmen etwa von Marianne Brandt, Florence Henri, Lucia Moholy Lee Miller und anderen beigegeben sind, fesselt die Regensburger Ausstellung.
Glücksfund in Souk
Dass Soupaults Bilder heute noch zu bewundern sind, ist ein Zufall, der irgendwie zu dem Leben dieser Nomadin des 20. Jahrhunderts passt. Auf der Flucht vor Vichy-Frankreich hatte sie ihre Negative und Glasplatten zurückgelassen. Eine Freundin entdeckte die Truhe 1946 in den Souks von Tunis und kaufte sie. Erst 40 Jahre später konnte Soupault überzeugt werden, das Material zu veröffentlichen. 1987 war das; Fotografieren war für sie ähnlich wie ihre Mode-Zeit nur ein Kapitel gewesen, eine Episode, die sie 1950 abgeschlossen hatte, mit einer Fotoreportage aus den Unterkünften Vertriebener und Flüchtlinge in Deutschland. Ein Thema, in dem sich die ihrerseits so seltsam Unbehauste wiedergefunden haben wird.
Ré Soupault. Eine Künstlerin im Zentrum der Avantgarde, mit Werken und Fotos unter anderem von Marianne Brandt, Marianne Breslauer, Sonia Delaunay, Gisèle Freund, Werner Graeff, Florence Henri, George von Hoyningen-Huene, Johannes Itten, Wassily Kandinsky, André Kertész, Paul Klee, Lucia Moholy, László Moholy-Nagy, Man Ray, Oskar Schlemmer, Umbobis 4. September im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag 10 bis 20 Uhr, Katalog 29,80 Euro.