Gerenne, Gezuckel, Gehampel - "Solaris" im Pathos München Atelier
Der Pathos-Ableger "Pathos München Atelier" in der Dachauer Straße mit einer Bühnenbearbeitung von Stanislaw Lem's "Solaris".
1961, und das ist eine lange Zeit vor Einsetzen des postmodernen, westlichen Beziehungsdiskurses, schrieb Stanislaw Lem mit "Solaris" eine wunderbare Metapher der Liebesinstabilität in den Weltraum hinaus. Die Liebe zwischen Mann und Frau, zwischen Kelvin, dem Wissenschaftler und der Wiedergängerin Harey, die sich kurz vor Kevins Flug nach Solaris umgebracht hatte und nun nach Kelvins Ankunft unter dem Einfluss des fluxusartig wabernden Planeten als dreidimensional haptischer "Gast" auf der Raumstation "Prometheus" erschien, steht als zentrales Thema in einem größeren Zusammenhang von Schuld und Gewissen an sich.
"Im Pathos München Atelier" zeigte Alexander Nerlich in einer abgedrehten Fassung nach der Dramaturgie von Anne Schäfer sein Solaris-"Kammerspiel". Kurz vorab: Es war eine krachlederne Groteske.
Mutig oder schmerzunempfindlich: Alexander Nerlich setzte entschlossen auf Opposition zu den Theater-Qualitäten des gleichnamigen Films von Andrei Tarkowski (1972). Wo im Film, wie immer bei Tarkowski, die Figuren unprätentiös, zurückgehalten zu den sie umgebenden Bildern und sich selbst in Beziehung treten, um sich leichthin wieder zu lösen, also miteinander in einem feinen, etwas abwesenden Swing zu kommunizieren, da setzte Nerlich auf Blut, Schweiß und Tränen.
Zu Beginn der Raum des "Kammerspiels" – "Rumpel-" sollte man eigentlich davor setzen: Unkomponiert und von unbewusster Armut. Spind, Lampions, Garderobenständer, als Raumteiler ein Screen als Jalousie und ein unsäglich aufblasbares Gummi-Matrazen-Trumm als Spielwiese für ganz seltsame, verzappelte Geschlechterbegegnungen zwischen Kelvin (Atlef Vogel) und Harey (Sophie Lutz). Wahnwitzigster Körpereinsatz! Erinnerte an halbflügge Jungvögel, die aufgeschreckt im Karton an die Wände rumpeln.
Da war er wieder einmal, der klassische Intensitätsnachweis im Theater-Off-Space der Armut. Hin und her rennen, übereinander, durcheinander fallen, zucken, schreien. Zwischen Snaut (Sven Hussok) und Sartorius (Jaron Löwenberg) gab es sogar recht nach Leben riechende, realistische Raufereien. Snaut sitzt am Anfang im umgekippten roten Spind. Die Maske (Marianne Meindl) setzt auf schwitzigen After-Hour-Look. Auch Sartorius sieht mitgenommen aus wie nach einer massiven Loveparade. Darüber hinaus hat er noch das Wundmal des Lanzenstichs Jesu seitlich an der Lende. Was soll das?
Das ganze Gehampere wird garniert mit vier Mal Disconebel, vielen Handleuchten und Blinklichtlein, die dem Zuschauer in einem sonderbaren Varieté-Stil Wissenschaftlichkeit suggerieren sollen. Sartorius deklamiert – grundsätzlich gekonnt – wie ein nach Gründgens-Manier geführter Magier. Hanussen auf Ekstasy? Breiten wir den Mantel...
Am Ende sind die Gäste – nicht die im Zuschauerraum – vernichtet, Sartorius atmet tief durch. Und Kelvin? Er geht zum mit schwarzer Plastikfolie zugepappten Fenster und öffnet es. Was geht jetzt ab? Er stellt seine Stablampe ins Fenster, draußen gehen irgendwelche Event-Leutchen mit Flaschenbier in der Hand vorbei. Kelvin zögert noch kurz, dann steigt er aus dem Fenster, zwei Leute im Publikum klatschen, was wohl mit Erlösung zu tun hat. Da taucht von hinten heran eilend der Regisseur auf und erklärt dem Publikum, wohl um einen größeren Schlussapplaus zu verhindern, dass jetzt tatsächlich Schluss sei.
Jetzt kommt dann doch großer Schlussapplaus und Gejohle auf. Nachdem sich das Fun-Publikum beruhigt hat erklärt der Regisseur, es habe größere technische Pannen gegeben und er würde anbieten, die letzte halbe Stunde nach einer kurzen Pause noch einmal zu spielen. Nee, Kinners! Zu gütig!
Weitere Vorstellungen am 21, 22 und 23 Oktober 2011