David Garrett in der Olympiahalle
Im Land des Bubenlächelns gibt es Wohlfühlsoße
Ja, damit geht auch Coldplay im Alleingang: David Garrett und sein Werkzeug. Foto: Christopher Dunlop
Das Logo im Heavy-Metal-Stil auf dem roten Bühnenvorhang gibt zu Hoffnungen wie Befürchtungen gleichermaßen Anlass: „Rock Anthems“ - das Motto der gerade frisch begonnenen Tour von Supererfolgsgeiger David Garrett. Mit sehr hohem Frauenanteil hat sich die Olympiahalle bis auf den letzten Platz gefüllt, in gespannter Erwartung von „Crossover“, dem Schreckensbegriff der Unentschiedenen. Und im Notfall sieht er ja immer noch gut aus.
Gleichwohl: Garrett startet mit Covern von „Welcome To The Jungle“ (Guns'n'Roses), „Palladio“ (Carl Jenkins) und „Cry Me A River“ (Justin Timberlake) und führt somit den Teil seines aktuellen Schaffens vor, über den man besonders trefflich streiten kann: Der erste Song ist ein richtiger Rock-Klassiker, weshalb ihm auch mit einer Meistergeige nichts Sinnvolles mehr hinzuzufügen ist. Die beiden anderen haben mit Rock nichts zu tun und vertragen sich mit Garretts Hang zur gefühligen Glattschleiferei mal mehr und mal weniger gut. Die Arrangements sind straff, nichts ist hier auch nur einen improvisierten Takt länger als das Original.
Es ist Samstagabend, und das hier ist die große Familienshow: Gepflegte Pyrotechnik, gute Videoumsetzung, den großen Lametta-Regen gegen Ende ahnt man schon, als der Star am Anfang von einer beeindruckend hohen Säule unterm Hallendach zu uns herabgelassen wird. Das bald kommende Bad in der Menge kann man riechen wie einen heraufziehenden Schneesturm, sobald die „Pirates Of The Caribbean“ im Schmalz ertrunken sind. Jeder Song ist hier „meine Version von“ - und diese ist immer „für euch“. Garrett ist ein Showman mit attraktivem Schlafzimmerblick, er lebt das auf der Bühne vollkommen: Seine Freude am Spielen wie am Unterhalten wirken stets authentisch. Und immer wieder: DAS Bubenlächeln.
Wahrscheinlich glaubt er sogar an die Bedeutung der kleinen Geschichtchen, die er zwischen den Stücken erzählt und dabei klingt wie eine Mischung aus Thomas Hermanns und Rüdiger Hoffmann: In Bangkok hat er gefälschte Garrett-CDs auf dem Markt entdeckt, hoho, in New York schleppte man seinen Audio R8 ab, hihi, beim Flug über den Pazifik wurde sein Geburtstag von der Datumsgrenze verschluckt und es gab „keine Feier mit den Kumpels“, oooch. Später erzählt er hingegen,dass er ja kaum noch Freunde habe, das Tourneeleben und so, wir wissen schon.
Das hat nur alles mit Kunst nichts zu tun. Und wenn Garrett dann tatsächlich mit dem „Säbeltanz“ und „Funiculì, Funiculà“ Stimmung macht, Himmel hilf, dann liegt da echt ein toter Fisch im Wasser. Zu „1000 Pipers“ tanzt eine Art Prinzengarde. Das ist, sorry, die gleiche Wohlfühlsoße, wie sie von den Flippers bis André Rieu vergossen wird. David schreibt's uns an die Wand: „Ihr seid der Motor, der mich vorantreibt. Ohne euch wäre ich verloren.“ Passt scho, Alter.
Aber manchmal passt es wirklich und ist da auch besonders schön: Ein „Yesterday“ kann mit einer Garrett-Geige so geschluchzt werden, dass es zu Tränen rührt. Doch „Rock Anthems“ sind da natürlich ganz weit weg, und der Kaufhaussound so gefährlich nahe wie die Sambarasseln in „Human Nature“ von Michael Jackson. Sehr hübsch ist, wenn Garrett das Pedalboard der E-Gitarristen okkupiert und Coldplays „Viva La Vida“ quasi im Alleingang stemmt. Bei einer klassischen Corelli-Variante blühen der Star und sein Orchester, die Neue Philharmonie Frankfurt, so sehr auf, dass man „Classic Anthems“ zu missen beginnt.
Abschließend: „We Will Rock You“ - ein Missverständnis, darum geht es hier einfach nicht. Schon eher um ein „Let It Be“, die Zugabe: Gut gelaunt genießen. David lässt uns alle das leuchtende Handy hochhalten und freut sich: „In München sieht das einfach am Geilsten aus.“ So viel zur Frage, was rockt und was einfach nur gut aussieht.