Zensur beim Bayerischen Staatsballett?
Wenn die PR-Polizei einen Tänzer wirklich nackt macht
Darf ein Balletttänzer rauchen? Das Bayerische Staatsballett meint: Nein. Auf einem Poster wurden Zigarette und Rauch deshalb einfach weg- und der Erste Solist Tigran Mikayelyan clean gezaubert. Sehr begrenzt erotisch und schon gar nicht harmlos findet das Kulturvollzug.
Eines meiner denkwürdigsten Erlebnisse hatte ich in Ramsau-Hintersee. Das Staatsballett gab „Giselle“ in der Wildnis, und in der Pause hatte sich die feuchte Nacht über den Spielort gelegt. Da stand neben der Bühne, auf der nebelschweren Wiese, Myrtha, Königin der Wilis, eingemummelt in einen Anorak mit einer Zigarette in der Rechten. Sie blickte in den Wald, die Arme selbstbewusst verschränkt. Es war die beste Myrtha, die ich je gesehen habe.
Zigaretten gehören zum Tänzerleben dazu, wie Salat aus dem Plastikbehälter, Fußball im Fernsehen und Playstation-Spiele. Das weiß auch jeder Ballettomane, deshalb ist es ein Witz, dass nun auf einem Poster Tigran Mikayelyan die Zigarette zwischen den Fingern wegretuschiert wurde. Auf der Rückseite der aktuellen Ausgabe von „Ballett Extra“, dem Beileger in der „Süddeutschen Zeitung“ und „Max Joseph“, der operneigenen Hochglanz-Illustrierten, ist ein ausgesprochen gelungenes Bild von ihm ganzseitig abgedruckt. Fotograf Thomas Kirchgraber, der ihn auf einer Armenienreise begleitete, fing den Ersten Solisten in einer ruhigen Minute ein, zwischen Proben auf einem Sessel sitzend und in das Display seines Handys vertieft, mit nackten Oberarmen und Entspannungszigarette. Nur, die Zigarette fehlt nun auf dem Bild. Zwischen den zwei gestreckten Fingern der rechten Hand ist: nichts.
Wir machen's wieder ganz: Das diskutierte Bild auf der Ausgabe von "Ballett Extra", wie es eigentlich gehört hätte. Weil es nur so der Wahrheit entspricht. Fotomontage: Michael Winklbauer
„Wir hatten pädagogische Motive“, erklärt Susanne Ullmann, Sprecherin des Staatsballetts und neben Vize-Ballettdirektorin Bettina Wagner-Bergelt Redakteurin von „Ballett Extra“ mit einem Schokoladenlächeln. Thomas Kirchgraber wiederum klagt: „Tigran und ich haben gekämpft, dass die Zigarette bleiben darf, aber wir konnten es nicht verhindern.“ Anscheinend sind alle Beteiligten an der Retusche der Meinung, der Coup aus der PR-Abteilung sei nicht so schlimm.
Er ist aber schlimm.
Muss man denn die Freunde des Staatsballetts gängeln wie bei vielen puritanischen Amerikanern, die erst begreifen, dass Rauchen schädlich ist, wenn man es ihnen ins Hirn graviert? Nicht dass Pädagogik im Ballett keine Rolle spielen dürfte. Aber bitte doch nur, wenn sie sich aus den Werken von Petipa oder Kylián erschließt! Dass die Direktion ebenfalls originär moralische Inhalte verbreitet, nervt bedeutend mehr als der Rauch einer Zigarette. Zumal die Urteilskraft der „Ballett Extra“-Leser sicher ausreicht, um das Bild selbst zu beurteilen.
Denn im Ballett geht es um menschliche Abgründe. Um all das, was so unaussprechlich ist, dass es nur mit dem Körper zu ergründen ist. Tänzer leisten diese Arbeit mit Hingabe. Sie malträtieren Muskeln, die nicht so wollen wie sie es sich wünschen; sie überlasten den Körper, sind acht Stunden täglich in Bewegung; oft tanzen sie zwei Mal am Tag ein komplettes Ballett durch, manche mit Verletzung. Dazu stürzen sie sich in die seelischen Tiefen der Rolle, die sie verkörpern. Ein Tänzer muss, um alles in der Welt, seinen Körper so pflegen dürfen, wie er es für richtig hält. Es geht uns nichts an, ob er seine Lunge teert. Denn im Vergleich zu ihm verstehen wir rein gar nichts von seinem Körper.
Von einem Ersten Solisten sollte man, im Gegenteil, erwarten, dass er sich etwas gönnt. Ebenso, dass er Dinge tut, die wir nicht tun: abstürzen, zusammenbrechen, neue Dimensionen ergründen. Gerade deshalb ist es auch wichtig, dass ein Tänzer sich nicht aktuellen körperlichen Moden unterwirft. Die des militanten Nichtrauchertums gehört ganz vorne mit dazu.
„Es ist überall eine ungute Tendenz zur Virtuosität zu verzeichnen“, beklagt Ballettdirektor Ivan Liska in einer Diskussion mit Sängerin Anja Kampe in „Max Joseph“, „zum Drang, dem Körper Leistungen abzuverlangen, die äußerlich immer noch perfekter werden müssen. Und das, ohne sich Gedanken um den Ursprung der Tanzkunst zu machen, etwa im schamanistischen Ritual“. Das Wegretuschieren einer Zigarette ist die logische Fortsetzung dieser Tendenz. Eine neue Intoleranz macht sich breit, eine Heuchelei unter dem Deckmäntelchen der Ästhetik.
Um aber zum Kern zu kommen: Das Foto ist ein Pin-Up-Motiv. Es betört, weil der geliebte und bewunderte Tänzer in einer privaten Situation zu sehen ist. Dem Fan fällt es leicht, sich selbst mit aufs Sofa zu projizieren. Sowohl der Tänzer als auch sein Fan haben in dieser Situation ein Recht auf Privatsphäre. Der Fan, weil er die vollständige Imagination verdient hat. Tigran ist Raucher, und der Betrachter möchte ihn, keine PR-Gummipuppe. Der Star, seinerseits, sollte nur genau so nackt sein, wie er möchte. Will er Teile seines Wesens hinter blauem Dunst verbergen, ist das sein Recht. Tigran Mikayelyan hat in der Fotosituation davon Gebrauch gemacht – hier ist es ihm entrissen worden. Er wird dem Leser nackt, aber gebügelt zum Fraß vorgeworfen.
Hätte ich damals in Ramsau-Hintersee ein Foto von Roberta Fernandes gemacht, würde ich jetzt und hier den Bildschirm damit ausfüllen. Denn Myrtha raucht. Ich habs gesehen. Aber vermutlich sollte ich das für mich behalten. Sonst säbelt ihr die PR-Polizei bei nächster Gelegenheit was ab.
Anm. d. Red. vom 6. Mai 2012, 13.45 Uhr: Die Bildzeile zu dem Foto auf dieser Seite wurde wegen einer Unklarheit in der Beschreibung des Printprodukts korrigiert.