"Der frühe Dürer" in Nürnberg

Der Deutschen liebster Maler - Und ewig forscht die Jugend

von Michael Weiser

Die Anbetung der Könige (1504). Florenz, Galleria degli Uffizi.

Eine Großausstellung für den Malerstar der Deutschen: Das Germanische Nationalmuseum präsentiert die größte Dürer-Ausstellung seit 40 Jahren in Deutschland. Das Museum zeigt nicht nur zahlreiche Gemälde, Aquarelle und Drucke des Nürnbergers und seiner Zeitgenossen, sondern präsentiert auch Ergebnisse intensiver Forschungen der vergangenen Jahre. Deutlich wird dabei, wie sehr Dürer experimentierte.

Auch der Großmeister langte, tröstlich für alle lediglich normal Begabten, manchmal richtig daneben. Das Jesuskind auf dem Schoß der „Haller Madonna“ wirkt irgendwie gequetscht, sein rechter Arm verdreht. Der Körper einer gezeichneten „kluge Jungfrau“ wirkt verzerrt und falsch proportioniert. Bei einem Schmerzensmann wiederum ragt das Knie so widernatürlich unterm Schurz hervor, „dass wir nicht wissen, wie das Bein überhaupt mit dem Körper verbunden sein soll“, sagt Daniel Hess vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Albrecht Dürer, man kann es nicht leugnen, scheiterte in jungen Jahren immer wieder.

Selbstbildnis als Dreizehnjähriger (1484). Wien, Albertina

Wohl auch, weil er viel versuchte. Die Ausstellung mit dem Titel „Der frühe Dürer“ zeigt einen unermüdlich Experimentierenden, der sowohl an seiner eigenen Vervollkommnung als Künstler als auch an der Palette seiner malerischen Möglichkeiten arbeitete. Auf der Rückseite der misslungenen „Jungfrau“ finden sich Experimente des Künstlers, der sein eigenes Bein in perspektivischer Verkürzung zeichnete. „Forschendes Zeichnen“ nennt dies Hess, der die Ausstellung kuratierte, die größte über Dürer in Deutschland seit 40 Jahren. Sie zeigt mehr als nur einige Dutzend herausragender Arbeiten von Dürer und seinen Zeitgenossen. Sie macht auch deutlich, was die Dürer-Forschung in den vergangenen Jahren erreichte. Das Portrait seines Vaters hatte der angehende Künstler ursprünglich in einen Innenraum mit Einrichtung und Fenster konzipiert. Doch dann übermalte er das Interieur. „Eine sensationelle Entdeckung“, freut sich Hess.

Man würde Dürer heute als Deutschen mit Migrationshintergrund bezeichnen. Sein Vater stammte aus Ungarn und gehörte als erfolgreicher Goldschmied zu den sehr Wohlhabenden in der reichen Stadt Nürnberg. Sein Sohn entschied sich gleichwohl gegen den väterlichen Beruf und für die Malerei. Der Würfel musste früh gefallen sein. Eine berühmte Zeichnung zeigt den erst Zwölf- oder Dreizehnjährigen, ein weiches, mädchenhaftes Gesicht, eingerahmt von langem Haar. „Dz hab ich aws ein Spigel nach mir selbs kunterfet im 1484 Jar, do ich noch ein Kint was“, schrieb der Künstler ins rechte obere Eck der wunderschönen Zeichnung, mit der er in Wettstreit zu seinem Vater getreten war. Dessen Selbstbildnis hängt im Germanischen Nationalmuseum gleich daneben und lädt den Betrachter noch nach fünfhundert Jahren zum Vergleich ein.

Dürer, ein Wunderkind der Renaissance? So wollte ihn das 19. Jahrhundert sehen. Ob Dürer die Zeichnung wirklich als Kind angefertigt hat, wissen wir allerdings nicht. Auch auf anderen Selbstbildnissen – die aus konservatorischen Gründen im GNM leider nicht im Original nach Nürnberg gelangten – stellt uns Dürer vor gewisse Rätsel. Das berühmte Portrait, das im Prado in Madrid zu bewundern ist, zeigt ihn im Halbprofil und in luxuriöser, geradezu geckenhafter Kleidung. Eine plausible Erklärung für den exzentrischen Auftritt liefert Hess: „Das sind Bilder, mit denen er Werbung für sich machte. Er malte sich in der Kleidung eines Patriziers, nicht um zu zeigen, dass er es geschafft hatte, sondern um Kunden aus den Kreisen der Patrizier vorzuführen, wie er sie malen könnte.“ Dass er sich selbst dabei abbildete, hatte einen nützlichen Nebeneffekt: Dürer, der messiasähnliche Maler mit der Lockenpracht, wurde selbst zur Marke und sein Monogramm zum weithin berühmten Markenzeichen. Das Genie hatte offenbar früh begonnen, seine Umwelt zu beeindrucken. „Hat mir Albrecht Dürer gemacht“ vermerkte ein unbekannter Sammler stolz neben der Zeichnung einer Dame mit einem Falken aus dem Jahre 1487 – noch bevor Dürer seine Lehre beim Meister Wohlgemut angetreten hatte.

Hiob, 1505. Frankfurt, Städelmuseum

Ein Rätsel bleiben Dürers Italienreisen. Erblickte der Nürnberger in welschen Landen das Licht einer neuen Kunst? Die Experten gehen davon aus, dass in Nürnberg genügend Drucke von italienischen Kunstwerken kursierten, mit denen ein junger Maler wie Dürer seine Italienerfahrungen auch in den eigenen vier Wänden absolvieren konnte. Seine Reise-Aquarelle beispielsweise von Arco und Trient belegen eher, dass sich der junge, noch nicht sehr welterfahrene Nürnberger bei seiner ersten längeren Tournee haarscharf an der Grenze des deutschen Sprachraums entlang bewegte, auch wenn er in einem Seitental der Etsch ein „welsch Schlos“ gemalt haben will. Exakte Schlüsse aber lassen die Aquarelle ohnehin nicht zu, glauben Daniel Hess und sein Kollege Thomas Eser. „Die Aquarelle wurden in aller Sorgfalt im Atelier gemalt“, sagt Eser. Zum Vorzeigen und wiederum als Versuch: Die Ansicht von Trient verblüfft durch die brillante Darstellung von ruhendem und reißendem Wasser. Immer wieder blitzt es auf, dieser Zwang zum Ausprobieren.

Man kann Dürer in dieser Ausstellung auch als Nürnberger Künstler-Unternehmer wahrnehmen, der im kulturellen Humus einer der reichsten und einflussreichsten Städte Europas wurzelte und sich nach Auftraggebern umsah. Dürer arbeitete sozusagen nach Tarif: Die Bezahlung gab den Ausschlag, welche Sorgfalt Dürer seinen Gemälden angedeihen ließ. In Perfektion sehen wir sein Können in seinen Selbstbildnissen und in der Anbetung der Heiligen drei Könige, die er für den Kurfürsten Friedrich den Weisen in Szene setzte. Ein eher liebloses Stück findet sich dagegen auf der Rückseite der Haller Madonna. Allerdings gibt es auch Zeugnisse, dass der Malerstar die höchste künstlerische Vollendung im schnell und souverän dahingeworfenen Bild erkannte – in Momentaufnahmen also.

Irgendwann war Dürer vermutlich  genervt vom Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag. Er widmete sich daher mehr und mehr Entwürfen zu anderen Kunstformen wie dem Glasfenster und vor allem dem neuen Medium des Drucks. Es ist kein Zufall, dass seine Buchillustration zur Apokalypse des Johannes bis heute zum Bekanntesten zählt, was Dürer schuf. Seine vier apokalyptischen Reiter galoppieren bis heute durch die Phantasie ihrer Betrachter, als unheimliche Boten des Endes ebenso wie als Zeugen des Genies ihres Schöpfers.

"Der frühe Dürer", die erste Ausstellung überhaupt zum Karrierestart des Nürnberger Künstlers, zeigt bis zum 2. September 2012 im Germanischen Nationalmuseum rund 200 Exponate, darunter 120 Werke Dürers. In einem Dürerlabor kann man sich über die Nachbarschaft Dürers in Nürnberg, seine Netzwerke und andere interessante Details des 16. Jahrhunderts infiormieren. Der Katalog kostet 34,90 Euro. Das Museum ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, mittwochs sogar bis 21 Uhr.

Veröffentlicht am: 29.05.2012

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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