Die Ärzte in der Olympiahalle

Schlamperei, La-Ola-Lust und die Frage, ob ein BH frisch gepflückt werden muss

von Michael Grill

Die älteste Band der Welt. Sagen sie selbst. Manchmal. Foto: Jörg Steinmetz

Die Band, die es geschafft hat, dass von ihr zumindest im deutschen Sprachraum nur noch als der „besten der Welt“ gesprochen wird, startet bescheiden in das Konzert in der Münchner Olympiahalle, die selbstverständlich seit Monaten ausverkauft ist. Neben der obligatorischen Frage, ob „das noch Punkrock“ ist, gibt es zunächst nicht mehr als ein Trio namens „Die Ärzte“, das spielt als wäre es im Probekeller. Es wird ein Abend voller Überraschungen.

Ihr immer noch neues Album „auch“, das die eingangs erwähnte Frage emblematisch voranstellt, ist ein gutes Album, das viele kreative Purzelbäumchen macht, andererseits aber den seit etwa zehn Jahren anhaltenden musikalischen Stillstand der Band fortschreibt. Live haben sie diesen Druck nicht so sehr, und das tut allen Beteiligten gut.

„Ist das noch Punkrock“ („Was würden die Hosen sagen – Ich glaube nicht“) eröffnet, wie gesagt, ein Set von mehr als drei Stunden Spieldauer, und zwar spürbar tastend im musikalischen Raum und noch ein wenig matschig im Musikerhirn. Es folgen „Bettmagnet“ und „Tamagotchi“, zwei der überflüssigsten Ärzte-Songs überhaupt.

Wie immer bei der Band sieht man verblüffend viele kleine Kinder auf den Tribünen (die Arena wäre für sie wegen der Pogo-Exzesse zu gefährlich), ansonsten das gesamte bunte Spektrum aller Altersklassen bis etwa mittelalt. Ein Ansage vom Band stimmt bevor der Vorhang sich öffnet alle auf gaga: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kinder. Erstens: Die Band hat immer recht... Die Band ist immer lustig, außer wenn sie ernst ist... undsoweiter.“ Man spielt hier ohne Vorband, denn die sich ankündigende Setlist ist ja lang genug. Am Ende werden „Belafarinrod“ fast 40 Songs in 3 Stunden und 15 Minuten schaffen, bei einem zum Schluss hin stark ansteigenden Laberfaktor zwischen den Stücken.

Man kennt sich, so klingt auch die Begrüßung: „Servus! Das ist ein Publikum! So eine Stimmung, ohne dass wir was getan haben!“ Schon nach zehn Minuten beginnt eine regelrechte La-Ola-Olympiade, die Farin Urlaub im Laufe des Abends unter Verweis auf seine gerade besonders große „La-Ola-Lust“ immer wieder neu starten wird. Und weil München so gut mitmacht, gibt es auch ein Ärzte-Lob: „Streberpublikum!“

Mit „Hurra“ nimmt die Sache dann allmählich auch musikalisch Fahrt auf. Doch angesichts der Bühnen-, Schall- und Raumverhältnisse beginnt man sich zu fragen: Spielen die Ärzte heute ohne Sound? Und auch gleich noch ohne Licht? Sind Screens für bessere Sicht heute kaputt oder nicht vorhanden? Macht die Band auf Retro-DÄ und spielt mit Equipment wie vor 30 Jahren? Low-Fi-Ärzte? Ist das ein Konzept und wenn ja, ist das wirklich lustig?

Dazu schlampert Urlaub durch seine Gitarrenparts, dass es nur so Punkrock ist („Lied vom Scheitern“ sowie eigentlich alle anderen auch). Einen herrlichen Klampfensound allerdings bekommt er hin bei „Ein Mann“. Nach einer halben Stunde fliegt ein BH auf die Bühne, doch er sei „kalt“ stellen die Fachmänner auf der Bühne fest: „Wir mögen sie frisch gepflückt“. Bassist Gonzalez ergänzt: „Selbst gepflückt.“

Ab „Wir sind die Besten“ – wächst Gonzalez' Bassverstärker-Anlage zu einem absurd verdrehten, aber überaus sehenswerten Lautsprecher-Turm an: Männerträume sind Kinderträume. „Rod“ hat darüber hinaus einige Male Gelegenheit zu zeigen, dass er der beste Instrumentalist der Band ist – aber nicht ihr bester Songschreiber. Trotzdem ist es lustig, das aus seiner Feder stammende „Sohn der Leere“ als einen „Song über Sebastian Schweinsteiger“ zu hören.

Es beginnt die Zeit extrem geschmackvoller Chelsea-Witze auf der Bühne, während für die im Saal endlich die Screens in Betrieb genommen werden und die Lichtanlage auf volle Leistungsstärke fährt. Der Sound bleibt allerdings für den Rest des Abends bescheiden, er gehört zum schlechtesten, was man in der renovierten und akustisch eigentlich deutlich verbesserten Olympiahalle in letzter Zeit gehört hat. Aber, hey, das ist ja noch Punkrock.

Beim „½ Lovesong“ werden getrennte Liebespaare gezeigt. Eine Idee, die mit Clinton-Lewinsky und Ketchup-Majo lustig ist, mit den Twin Towers als Bildmotiv aber eher gar nicht. Auch beim „Schunder-Song“ wo es ja bekanntermaßen im Text „mitten in die Fresse rein“ geht, sind die Superzeitlupen-Aufnahmen von Faustschlägen ins Gesicht daneben, weil brutal und voyeuristisch.

„Fiasko“ ist auf dem neuen Album und auch an diesem Abend einer der musikalisch interessantesten Songs, mit ihm erreicht die Band wieder ihr Level. Die Pogo-Kreise in der Arena wirbeln, dass es auch beim Zuschauen eine rechte Freude ist, ebenso bei der „bösen La Ola“, eine Variante von hinten nach vorne, bei der sich alle hinsetzen müssen: „Ihr seid schnell so wie Arjen Robben.“ „Lasse reden“ stampft wie ein Disco-Kracher, und dass „in München der Disco-Sound erfunden“ wurde, scheint die Herrschaften auf der Bühne sehr zu bewegen. Kleine Zwischendurchprobleme a la „Wie geht nochmal die zweite Strophe?“ sind hier ja kein Mangel, sondern feinste Folklore. Nach knapp zwei Stunden gelangt man schließlich zum „wichtigsten Lied, das wir je geschrieben haben“: „Schrei nach Liebe“ ist wahrlich der klügste und aufrechteste Versuch in der deutschen Rockmusik, die Neonazi-Thematik an den jungen Mann zu bringen.

Die Zugaben startet Bela B. mit der „Tittenmaus“ - das ist auch für Ärzte-Fans originell und wird mit dem Spruch „Für alle, die den Ball nicht hinter die Linie bekommen haben“ den Münchnern nochmal so richtig hingerieben. Die grundsätzlich missglückte Parodie „Cpt. Metal“ erweist sich dagegen - wie auch auf Platte - als echter Stimmungskiller. Bei „Dinge von denen“, kommen Farin Urlaub und Bela B. in Kostümen von Obelix und (möglicherweise?) Gutemine auf die Bühne. Das soll mutmaßlich die Ironisierung bayerischer Tracht sein, und das verstehe wer will. Dazu das bekannte und immer wieder genüssliche Bela-Farin-Rod-Impro-Theater: Dramaturgie ist eigentlich anders, aber hier funktioniert alles trotzdem. So seltsam man den Abend begann, so kurios beendet man ihn auch.

Als schon kaum noch jemand stehen kann, kommt „Himmelblau“ aus den Verstärkern, ein Song zum Träumen, ein Experiment, aber die Ärzte können sich das auch als dritte Zugabe leisten – es war schön, das wieder mal zu hören. Gleiches gilt für „ZeiDverschwÄndung“ und „Vollmilch“. Nach mehreren Monster-Pogo-Kreisen bei „Junge“ ist dann aber tatsächlich Schluss. Die abschließende Frage von Farin Urlaub: „Wenn wir wiederkommen würden, irgendwann – wärt ihr dabei?“ fassen wir als Dementi der seit einiger Zeit um die Band schwirrenden Trennungs-Gerüchte auf.

Und sind damit sehr beruhigt und zufrieden.

 

Redaktioneller Nachtrag vom 22. Juni 2012, 13.30 Uhr: Die Ärzte kündigen an, ihre Tournee im Herbst unter dem Motto "Das Comeback" zu verlängern. Darunter ist auch ein Auftritt am 23. Oktober 2012  in der Augsburger Schwabenhalle. Der Vorverkauf beginnt am 26. Juni um 9 Uhr auf www.bademeister.com; Restkarten ab 3. Juli an den Vorverkaufsstellen.

Veröffentlicht am: 31.05.2012

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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