„Danz Mathilda“ in der Drehleier

Wirtshaus? Musical? - Unter jedem Dach ist ein Ach!

von Michael Wüst

Eine Familienaufstellung, fast wie eine Schlamm-Lawine. Foto: Michael Wüst

Natürlich sind die Brettlbühnen längst verschwunden. Bestenfalls wiederkehrend in überseeischem Neo-Bavarismus. Verschwunden wie ihre Heimat, die Vorstädte - verformt, amalgamiert, upgedated von der Gentry des Spekulantenadels. Dennoch, in einem Haidhausen der Erinnerung fand mit dem Wirtshausmusical „Danz Mathilda“ in der Drehleier an der Rosenheimer Straße ein schräg charmanter Brettlabend statt. Bei Sex und Crime knarzte es gehörig. Das Wirtshausmusical von Hubbi Schlemer ist „ausnehmend eindringlich“.

Vielleicht ist ja "Komplett daneben" auch ein Alleinstellungsmerkmal? Bauerntheater, Iberl-Tourismo oder Witze-Watzemann mit geiler Gailtalerin? – Nein, dafür kam das szenisch-musikalische Stückwerk aus der Feder von Hubbi Schlemers wirklich viel zu unschuldig daher. Alles war gänzlich unverdächtig und ohne Bruchstellen in etwaige doppelte Böden angelegt. Keine dramaturgische Tücke war zu befürchten! Die Gags aus der Werkstatt fuhren mit kurzem dünnen Pfiff an die Wand wie verfrühte Silvesterkracher. An sentimentalen Hebeln rutschten Schauspieler und Publikum gleichermaßen ab. - Zuprostend in der Schlammlawine. Dennoch, allmählich breitete sich ein unterschwelliges Gurren und Kichern im Zuschauerraum aus.

Die erste Szene gehört der üppigen Ehefrau. Christine Hötzelberger ist Mathilda. Sie thront zwischen Plastikschinken und Gummibrathuhn und schaufelt. Berndie, gespielt von Achim Schelhas ist gut die Hälfte von Mathilda, zappelt wie ein aufgestörter Weberknecht und wühlt in einem Haufen von Rechnungen herum. „Ausgsackelt“ wird er von allen, Mathilda und der Staat fressen ihn kahl. Oder liegt's doch mehr an der Spielsucht? Und klar, da gibt es natürlich noch das andere Problem: Dieser Berg Mathilda lockt nicht mehr. Sie spielt das mit präzisem Grant.

Da das Ganze ja ein Musical ist und auf der Nebenbühne eine adrette Combo Platz genommen hat, schlägt jetzt Berndie mit dem ersten Song zu. „Ausgsackelt“ ist „You really got me“ von den Kinks. „Shoudl I stay or should I go“, danach ist etwas werkgetreuer aufgefaßt: „Soi i bleim, oder soi i mi schleicha?“ Was soll man sagen, unter jedem Dach ein Ach.

Hubbi Schlemer, im Stück heißt er übrigens Claude, ist der Bruder von Weberknecht Berndie und Walze Mathilda (wie sich später herausstellt haben sie drei Väter, und zwar verschiedene!), tritt nun vor den Vorhang und führt mit der bayrischen Fassung von „Waltzing Mathilda“ ins Seelenleben einer Unbesteigbaren ein. „Du valierst di beim Danzn, Mathilda“. Im Publikum breitet sich eine leichte Panik aus, doch es naht Rettung. Gerade noch rechtzeitig, kurz bevor die erschütternde Familienaufstellung als Schlamm-Lawine abzugehen droht, entern zwei Troubleshooter die Bühne. Roland Hefter ist Anton mit Sonnenbrille. Im Unterhemd mit leichtem Goaß-Mass-Schwimmgürtel, gelernter Metzger, Rock'n'Roller (etwas schludrige Aussprache: „Hey Wacken Wow!“) ist sexuell ausnehmend eindringlich, der nietet alle um, die nicht bei drei auf dem Baum sind. Ihm schuldet der Weberknecht Berndie an „Haffa Geld“, deswegen wird er ihn später ausnehmen, im wahrsten Sinne des Wortes. (Mathilda hätte gerne was von der Leber gehabt.)

Zwischendrin stirbt Claude im Off. Wahrscheinlich ist er ermordet worden. Anton, der fickende Metzger singt einige Songs, unter anderem „Bobby Brown“. Derweil hat Lola, gespielt von dem sexy Knaller Christine Eixenberger, bereits mehrere Zigaretten („Lola brennt“) auf offener Bühne geraucht und einige Schnäpse verlötet. Sie verführt alles, was noch lebt außer einem Kater Mikesch. Eine wunderbare Komödiantin, komisch und sexy, herrlich uneitel, ein Urtalent. Trotzdem kommt es wie es kommen muss, Mathilda stirbt an einer Herzattacke, während sie versucht die besoffene Lola abzuknallen. Der Vorhang geht zu, die Combo spielt jetzt „Waltzing Mathilda“ in einer funky Fassung. Das könnte gefährlich werden. Tatsächlich, der Vorhang geht wieder auf. Leichtes Verkrampfen im Publikum. Zweiter Schluss? Ja, aber der ist so blöd, dass er wieder versöhnt. Anton steht im Wald und spielt auf einem Kornett. Zu seinem Füssen der Kater Mikesch. Als Anton dann nach seinem Kornettsolo endlich auch zu Tode kommt, erschlägt Lola den Kater, der eigentlich alles erben sollte. Noch Fragen?

 

Veröffentlicht am: 31.12.2012

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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