Regisseurin Jessica Glause im Interview über ihr Moldawien-Stück bei "Radikal Jung" im Volkstheater
Es geht nicht um Freaks auf der Bühne, es geht um Fragen nach den Verhältnissen
Unter dem Titel „Radikal jung“ präsentiert das Volkstheater vom 5.–13. April 2014 zwölf ausgewählte Inszenierungen junger Regisseure. Mit dabei ist die Uraufführung des Stücks „Dear Moldova, can we kiss just a little bit?“ unter der Regie von Jessica Glause. Im Interview erzählt sie, was es heißt, in Moldawien ein Theaterstück über Homosexualität auf die Bühne zu bringen. Und was es dabei zu lachen gibt.
Ihr neues Stück, „Dear Moldova, can we kiss just a little bit?“ handelt vom Umgang mit Homosexualität in Moldawien. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, darüber ein Stück zu machen?
Es ist in dem Sinne gar kein Stück, was wir da aufführen, oder besser gesagt, die Autorin Nicoleta Esinencu und ich haben das Stück erst zusammen entwickelt. Nicoleta Esinencu, die vielleicht radikalste moldawische Autorin und wohl die einzige, die europaweit bekannt ist, hat ein Stück von mir am Staatsschauspiel Dresden gesehen, an der Bürgerbühne. Da hatte ich Punks aus Dresden Neustadt – und einen Hund – auf die Bühne geholt und die haben erzählt, warum sie Punks sind oder mal Punks waren. Dieses Stück hatte Nicoleta gesehen und wollte daraufhin eine Art Gesellschaftsbühne in Moldawien etablieren. Sie hat mich eingeladen, das Pilotprojekt mit ihr zu machen.
Warum haben Sie sich dann für ein Stück zum Thema Homosexualität entschieden?
Wir haben dann das Thema Homosexualität gemeinsam gefunden, weil wir beide stark an gesellschaftspolitischen Themen interessiert sind. Wir haben uns ab 2012 drei Mal länger in Moldawien getroffen und Interviews geführt. Aus diesen Interviews haben wir ausgewählt, was wir auf der Bühne zeigen wollen. Uns war wichtig, nicht einfach Freaks auf die Bühne zu holen, die dann zeigen ‚Ich bin gay, ich bin lesbisch‘, sondern zu sehen, wo sich dieses Thema im gesellschaftlichen Klima von Chişinău, der Hauptstadt von Moldawien, verortet.
Mit wem haben Sie bei den Interviews gesprochen, mit Homosexuellen?
Es gab es einen sehr intensiven Austausch mit einer NGO gegen Homophobie, Genderdoc-M, die uns viele Interviewpartner vermittelt hat. Zum Beispiel mit dem einzigen Transvestiten Moldawiens, der war stolz wie Umme... Und mit Eltern von Gays und Lesben, die in einem Beratungsprogramm an dieser NGO angegliedert sind. Außerdem mit dem Leiter der NGO und verschiedenen Beratern, die dort arbeiten; mit einer Aktivistin, ihrer Freundin und ihrem Sohn, die zusammenleben. Dann einige ältere Gays und auch Ex-Pats, also Leute, die selber homosexuell sind, sich aber in Moldawien nicht outen, auch weil ihre Firmen sie darum bitten, sich nicht zu outen.
Wie kann man das Klima in Bezug auf Homosexualität in Moldawien beschreiben?
Das ist ziemlich vehement homophob. Im Jahr wurde 2012 ein Antidiskriminierungsgesetz auf den Weg gebracht, aber in der Diskussion um dieses Gesetz gab es viele Politiker und Kommentatoren, die im Zusammenhang mit Homosexualität von ‚Schande‘ oder ‚Krankheit‘ sprechen oder die vorschlagen, dass man Homosexuelle auf der Straße verprügelt oder gleich erschießt oder in Tankern auf dem Schwarzen Meer versenkt.
So läuft der öffentliche Diskurs?
So läuft der öffentliche Diskurs. Das ist eine ganz orthodoxe Gesellschaft. Es gibt auch keine Gay-Bars, kein öffentliches Leben. Genderdoc-M veranstaltet ein Mal im Monat eine Party, das ist aber auch ein etwas trostloses Unterfangen, da stehen dann Bodyguards… Die NGO versucht schon, öffentlich etwas zu machen, Kussproteste zum Beispiel oder zum Valentinstag eine Mini-Pride, mit fünf Leuten…
Gab es bei der Aufführung des Stücks Probleme?
Bei der Aufführung nicht. Für mich war lange, eigentlich bis zur Premiere die Frage, was da passieren würde. Vor allem, wenn man bei so einem Stück keine Schauspieler auf der Bühne hat, sondern Menschen, die sich selber outen, die selber mit dem Thema für ihr eigenes Leben einstehen. Das war bei unseren Diskussionen vor der Aufführung extrem wichtig: Wen kann man überhaupt auf die Bühne holen, wie weit ist Moldawien, was braucht das Land, was kann es vielleicht gar nicht verarbeiten?
Das Stück fand in einem freien Theater statt, im Teatru Spălătorie. Das wurde von einem Ensemble gegründet, zu dem auch Nicoleta Esinencu gehört. Das ist sowieso ein alternativer Ort, der wird nicht staatlich gefördert. Die holen ihre Gelder zum Teil über europäische Mittel, zum Teil auch Stadtgelder, aber damit kommt wenig rein. Sie versuchen sich hauptsächlich über eine Bar zu finanzieren. Das ist also eine Art ‚Widerstandszelle‘. Leute, die dahingehen, um Theater zu gucken, sind in den meisten Fällen sowieso schon mal aufgeschlossen.
Wie war es für die Darsteller, mit ihrer eigenen Geschichte, mit ihrer Identität auf der Bühne zu stehen?
Es gibt einen Schauspieler und fünf ‚Experten‘. Der Schauspieler ist da, weil wir ein sehr breites Spektrum an Personen und Geschichten erfassen wollten. Wir haben aber keinen jungen Gay gefunden, der bereit war, auf die Bühne zu gehen, oder von dem wir uns vorstellen konnten, dass er mit dieser Situation auf der Bühne umgehen kann. Darum haben wir uns entschlossen, den Schauspieler einzusetzen, der letztendlich sagt: ‚Ich bin hier für alle die, die nicht selbst auf die Bühne kommen können oder sich das nicht trauen‘.
Die fünf Nicht-Schauspieler oder Laien oder Experten sind, so kann man wohl sagen, selbst für einen moldawischen Blick ungefährlich. Sie vertreten zwar Haltungen, die bestimmt nicht gern gesehen werden. Aber der einzige, der tatsächlich selbst schwul ist – was nochmal viel schlimmer bewertet wird als lesbische Frauen – ist ein achtzigjähriger Mann, der ehemals im Opernchor gesungen hat. Es war klar und er sagt selbst, dass ihn niemand mehr angreifen wird.
Für andere wäre es ein Risiko gewesen?
Zumindest gefühlt, ja. Wenn man Arbeitskollegen hat, Freunde, Familie, die das nicht akzeptieren wollen… Oder wenn man ein junger Mann ist und aus einem bestimmten moldawischen Blick heraus in traditionelle Familienverhältnisse gehört – man heiratet sehr früh, bekommt sehr früh Kinder. Es ist sehr traditionell, nach wie vor.
Wie hat das Publikum auf das Stück reagiert?
"Dear Moldova, can we kiss just a little bit" (hier eine Aufnahme von den Proben). Foto: © Produktion „Dear Moldova, can we kiss just a little bit ?“
Viele Leute, die bei der Premiere waren, sind selbst gay oder lesbisch oder jedenfalls liberal und aufgeschlossen. Die haben das gefeiert! Die Premiere war extrem emotional, sehr aufgeladen, weil einfach viele Unterstützer da waren, die großen Respekt davor haben, dass diese Menschen auf die Bühne gehen.
Es war auch ein Kurs von einer Robert-Bosch-Lektorin drin, die nachher mit mir gesprochen haben, weil sie Deutsch lernen sollen. Diese Studenten standen dem Thema sehr kritisch gegenüber – aber sie waren trotzdem da. Der Theaterabend endet damit, dass man gemeinsam Suppe isst. Die Studenten sind dageblieben und haben mit den Darstellern geredet. Da merkt man also Mini-Momente von Veränderung, von Impulsen.
Ein junger Gay, mit dem wir gesprochen hatten und der selbst nicht auf die Bühne gehen wollte, hat uns nachher gesagt, er ist so froh, diesen Abend gesehen zu haben, weil er emotional durch etwas durchgegangen ist, das er auf der Bühne gar nicht ausgehalten hätte. Das ist schon sehr bewegend.
Ist das Stück in Deutschland schon gelaufen? Wie sind hier die Reaktionen?
Wir haben es in Dresden schon einmal gezeigt. Bei dem Thema, selbst wenn es in Moldawien mit moldawischen Darstellern entwickelt wurde, geht es letztendlich um Identität, um Freiheit, um Diskriminierung. Der Abend endet mit einem Statement, das einfach jeden von uns berühren kann, wenn nämlich Vladimir, der Vater eines jungen Gay, sagt, dass sein Sohn, so wie er ist, immer von ihm geliebt wurde. Das finde ich einfach unschlagbar, weil es nicht darum geht, ob wir gleichgeschlechtlich lieben wollen oder ob wir in der Sahara leben wollen oder ob wir bestimmte Dinge eben machen wollen. Es geht einfach um Eltern-Kinder-Verhältnisse, um dieses Gefühl ‚Ich akzeptiere dich so, wie du bist.‘ Ich glaube, auf der Ebene funktioniert dieser Abend für jedes Publikum, weil das Fragen sind, die uns alle umtreiben.
Sie machen Dokumentartheater, jetzt und auch bei dem Punk-Stück. Warum wählen Sie diese Form?
Vermutlich hat das mit meinem Hintergrund zu tun. Ich habe Kulturwissenschaften in Hildesheim studiert, wo man sehr stark Theater als soziale Kunstform präferiert. 2006 habe ich an den Kammerspielen mein erstes Stück außerhalb des studentischen Kontextes gemacht, im Rahmen von „Bunny Hill“. Das war eine Rentnerführung durch die Stadt, wo ältere Münchner an ihre ‚In-Orte‘ in der Stadt geführt und dabei auch Gentrifizierung diskutiert haben. Das war so ein erster Impuls, wo ich gemerkt habe, in so einer theatralen Form, mit Schauspielern oder Nicht-Schauspielern, in einer Form von Aktionismus, wo Themen platziert werden, fühl ich mich einfach sehr, sehr richtig. Ich brauche irgendetwas, wofür ich selber gesellschaftlich brenne. Wo ich das Gefühl habe, das ist ein Thema, das gesellschaftlich platziert werden muss und das eine Debatte auslösen kann. Das funktioniert manchmal besser, mal schlechter. Die Form des Dokumentarischen ist sehr nah am journalistischen Arbeiten, dass man sich einem Thema nähert, Stimmen einfängt, Zitate, persönliche Geschichten… Ich bin noch dabei herauszufinden, wann funktioniert es gut mit Schauspielern, wann besser mit Experten? Welche Themen lassen es eigentlich nicht zu, dass jemand seine eigene Geschichte auf der Bühne erzählt?
Was meinen Sie, was das Theater gesellschaftlich leisten kann?
Ich bin da ziemlich idealistisch! Ich mache das aus einem Idealismus heraus! Was Theater im Idealfall erreichen kann, ist vielleicht in Nuancen mit dem Stück in Moldawien geschehen, dass es einen Impuls raussendet, von der Bühne in den öffentlichen Raum, ins Publikum. In Dresden gab es bei der Aufführung Standing Ovations, das ganze Publikum stand auf und klatschte. Was unsere Darsteller da mit nach Hause nehmen, ist eine wahnsinnige Anerkennung für das, was sie da tun, beziehungsweise für das, was sie leben. Da entstehen Synergien, wo ich mir denke, das sind Modelle für politische Kultur. Wenn das im Kleinen auf einmal so eine Drehung bekommt…Auf einmal merke nicht nur ich als Theatermacherin, hier passiert etwas, sondern auch das Publikum als Zeuge und als ‚Energiezurückgeber‘.
Ist dieser Effekt beim Dokumentartheater stärker als bei einem fiktionalen Stück?
"Dear Moldova, can we kiss just a little bit" (hier eine Aufnahme von den Proben). Foto: © Produktion „Dear Moldova, can we kiss just a little bit ?“
Es ist einfach auch die Suche nach dem Authentischen. Das ist ein Begriff, dem ich mich ein bisschen verweigere, weil ich ihn schwierig finde. Aber mir geht es darum, Spuren zu sammeln von Themen, die uns heute angehen. Das kann natürlich auch mit dramatischen Stoffen gehen, dagegen spreche ich gar nicht. Aber teilweise habe ich den Eindruck, bestimmte Geschichten werden nicht gehört oder können gar nicht ausgesprochen werden.
Die Themen Ihrer Stücke sind oft schwergewichtig, es hängt für die jeweils Betroffenen viel davon ab, wie die Themen gesehen werden. Zugleich wird in den Besprechungen ihrer Stücke öfter betont, dass darin viel gelacht wird und vieles komisch ist. Ist Ihnen das Lachen wichtig?
Ja! Sehr! Weil ich selber extrem gerne lache und ich mag witziges Theater. Das Stück von Moldawien, das ist natürlich auch humorvoll und ironisch. Seien es Schauspieler oder Laien – es geht auch darum, dass die Leute mit Ironie auf ihr Leben blicken. Das Wort ‚Dokumentartheater‘ klingt so dröge und trocken, aber es ist ein unterhaltsames Format! Zum Beispiel damals bei der Stadtführung mit den Rentnern hat eine Darstellerin – die war 75 – eine Graffitiführung gemacht. Die behauptet dann auf einmal, in den Fünf Höfen wäre das und das Graffiti einfach toll. Das hat doch eine große Ironie! Ich glaube, Humor und Witz ist etwas, das wir am Theater lieben... Dass bestimmte Themen zwischen Ernsthaftigkeit und Lachen auch noch einmal anders aufbereitet werden, energetisiert werden, könnte man fast sagen. Und auch nochmal eine andere Beteiligung erlauben, für die Zuschauer.
Dadurch vermeiden Sie ja auch so ein Betroffenheitstheater…
Die Betroffenheit stellt sich trotzdem ein, aber mir geht es tatsächlich nicht um ‚Betroffenheitstheater‘.
Haben Sie manchmal Angst, dass Sie eine Grenze überschreiten und es pietätlos werden könnte?
Bisher nicht. Aber ich hatte manchmal Scheu, dass es zum Menschenzoo wird, dass man Exoten auf die Bühne bringt und dann denkt, warum jetzt eigentlich? Bei dem Stück mit den Punks war auch die Frage, was passiert eigentlich, wenn man das System Theater mit so einer Gruppe in Kontakt bringt, die sich im Theater überhaupt nicht repräsentiert sieht und auch nicht sehen will. Bei der Premiere mit den Punks wollte der Intendant Wilfried Schulz den Darstellern nachher gratulieren und die Punks meinten: ‚Wer is’n das? Wer is’n der Typ?‘ Da denk ich mir: ‚Ja, großartig!‘ Die wissen das nicht und müssen es auch nicht wissen und es interessiert sie auch nicht. Aber was heißt das für das Theater, diesen Betrieb, wo alles geordnet sein muss, und man darf keinen Alkohol trinken und sie tun es trotzdem usw. Was heißt das? Pietätlos war es bis jetzt nicht. Ich habe aber jetzt angefangen, über Zwangsprostitution zu recherchieren und merke, da krieg' ich ziemlich Respekt davor.
Hat sich das Thema aus der Moldawien-Geschichte entwickelt, aus den Aufenthalten dort?
Teilweise ja, teilweise wurde es mir auch angetragen von einer ungarischen Regisseurin, die gern ein Mapping über Prostitution machen würde. Das finde ich sehr spannend und wichtig. Aber man ist mit dem Thema auch stark in einem Bereich des Journalismus drin, wo man Menschen schützen muss und umso mehr überlegen, wie erzählt man das im Theater. Da ist zum Beispiel ganz klar, ich will die Leute nicht auf der Bühne haben.
„Dear Moldova, can we kiss just a little bit?“ ist am 8. April 2014, 20.30 Uhr, sowie am 9./10. April, jeweils 18 Uhr auf der Kleinen Bühne des Volkstheaters zu sehen. Die Aufführung findet in rumänischer und russischer Sprache mit deutschen Übertiteln statt.