Blumfeld mit "20 Jahre L'Etat Et Moi" in der Theaterfabrik
Abgefahren bis zur Wiederholbarkeit
Da ist es passiert: Blumfeld, Theaterfabrik München, mit Jochen Distelmeyer (links), Eike Bohlken am Bass und André Rattay am Schlagzeug im Jahre 2014. Foto: Michael Grill
Das kann ja eigentlich nur schiefgehen: Eine der komplexesten und intellektuellsten deutschen Bands ruft sieben Jahre nach ihrer gutbegründeten Auflösung zur Jubiläumstour ihres vor 20 Jahren erschienenen Frühwerks. Im besten Falle wird das nostalgisch, im schlimmsten eine Abzocke. Blumfeld 2014 auf Tour mit „L'Etat Et Moi“, versehen mit dem Spießerprädikat „Originalbesetzung“ - eine Peinlichkeit mit Ankündigung, Reenactment der damals sogenannten Hamburger Schule? Es kam ein bisschen so, aber im Grunde kam es doch ganz anders.
Man muss sich nur einmal vor Augen führen, dass 20 Jahre der Zeitraum sind, den - zum Beispiel - die 1973 aufgelösten Velvet Unterground hinter sich hatten, als sie 1993 noch einmal kurzzeitig zusammenkamen. Im Pop-Maßstab sind das Äonen. Andererseits: Wer damals dabei war in den frühen 90er Jahren bei Blumfeld, zum Beispiel in der Oberföhringer Kulturstation, für den fühlt es sich vielleicht gar nicht so lange her an. Alles eine Frage der Perspektive, auch jetzt in der Theaterfabrik: Die ist mit einem Publikum überwiegend im Alter von Sänger und Gitarrist Jochen Distelmeyer – 47 – nicht ausverkauft. Oder gut gefüllt, je nachdem.
Blumfeld starten, als wäre viel gewesen. Mit sechs Songs von ebenjenem „L'Etat Et Moi“, mit dem sie die deutsche Sprache von der Unfähigkeit befreiten, Rock-Avantgarde zu sein: geschult an Punk und Wave, kombiniert mit der Collagentechnik des Hip Hop. Ein gewaltiges Verdienst (auch wenn sie es sich mit den besser über die Zeiten gekommenen Tocotronic teilen müssen). In diesem ersten Teil des Konzerts klingen „Draußen auf Kaution“, „Jet Set“ und so weiter zwar nicht alt, aber amateurhaft. Vor allem Bass und Schlagzeug rumpeln, wie man es keinem Newcomer durchgehen lassen würde. Ist hier aber egal, denn man darf ja das unverhoffte Glück feiern, überhaupt nochmal zusammenzukommen: „Servus Minga! Abgefahrene Situation, nicht?“, meint Distelmeyer. Das kann man wohl sagen.
Trotzdem: Die Frage der generellen Wiederholbarkeit von Rock-Ereignissen ist nicht völlig identisch mit dem Blumfeld-Konzert 2014. Das ist, für sich betrachtet und nachdem die Band sich etwa eine halbe Stunde lang finden muss, ein intensives, spannendes, wunderbares Erlebnis. Blumfelds Harmonien klingen ja fast immer falsch, ihre spröde Steifheit ist eine Herausforderung – doch wenn mit den Mitteln des Minimalismus daraus Kunst geformt wird, dann kann sie größer sein als bei den größten Virtuosen. Es funktioniert perfekt etwa bei „Aus den Kriegstagebüchern“, „Evergreen“ oder „Zeittotschläger“. Und Distelmeyer singt, als habe ihn etwas gepackt: leidenschaftlich, strahlend, fordernd. Schließlich ruft jemand aus dem Publikum: „Wo wart ihr so lange?“ Die Antworten sagen alles über die Band: „Zuhause“, sagt der Bassist. „Wir mussten noch aufräumen im 20. Jahrhundert“, ruft der Sänger.
Gemeinsam tanzt man weiter, in die Leichtigkeit der späteren Solo-Jahre hinein, feiert schließlich ein zehnminütiges „Verstärker“ und ein kreischendes „Einfach so“. Und nach anderthalb Stunden wird sogar noch die „Ich-Maschine“ ausgepackt, obwohl die gar nicht auf der Setlist steht. Frenetischer Jubel, überraschte Begeisterung – vor und auf der Bühne.