Der Bayerische Rundfunk feiert ein Jahr der Jubiläen

Bastler und Botschaften aus dem Bahnhofsviertel

von Karl Stankiewitz

Das BR-Hochhaus an der Arnulfstraße. Foto: BR / Manfred Schmitz

Vor 90 Jahren gründete der Likörfabrikant Robert Riemerschmid zusammen mit drei anderen Münchnern die „Deutsche Stunde in Bayern“. Von einem Studio im Verkehrsministerium aus wurden die Eröffnungsansprache und das anschließende Festkonzert drahtlos ins Auditorium maximum der Universität übertragen. Die regelmäßigen Sendungen beinhalteten zunächst fast ausschließlich Zeitansagen, Nachrichten, Wetterberichte, Börsennachrichten – und etwas Musik. Aber schon am 4. September 1924 wurde erstmals ein Sängerwettbewerb mit immerhin 3880 Meldungen gesendet und am 21. Februar 1925 die erste Oper, der „Lohengrin“. Dies gilt als die Geburt des Bayerischen Rundfunks, auch wenn der Name „Bayerischer Rundfunk GmbH“ erst 1931 auftauchte, als bereits eine Viertelmillion Hörer gezählt wurden. Zu diesem Jubiläum gesellen sich heuer noch weitere.

Vor 85 Jahren wurde das von Robert Riemerschmids Neffen Richard entworfene Funkhaus eingeweiht, vor 70 Jahren wurde es von einem Bombenvolltreffer zerstört, vor 65 Jahren wurde der BR als Anstalt des Öffentlichen Rechts gegründet, vor 60 Jahren sahen die Bayern erstmals fern und vor 50 Jahren startete ein selbständiges bayerisches Fernsehen. Anlass genug für die Macher am Rundfunkplatz, in Freimann und Föhring, das auf über 70.000 Aktenordner angewachsene "Historische Archiv" zu öffnen. Dessen Chefin Bettina Hasselbring hat 35 „Rundfunk Schmankerl“ in einem hübsch bebilderten Büchlein zusammengestellt, das aber keine Chronik sein soll, weshalb die politischen und einige andere Aspekte etwas zu kurz kommen.

Am Beginn war viel Bürokratie. Die Funkhoheit oblag in jenen Jahren der Reichspost, sie lizenzierte nicht nur die Radioproduktion, sondern sogar den Empfang. Die Hörer mussten sich anfangs noch mit komplizierten Detektor-Geräten abquälen. Radioapparate mit Röhre und Trichter ließen aber nicht lange auf sich warten. Man konnte sie sogar selber basteln. 1932 wurde der Lautsprecher integriert, und im selben Jahr wurde bei Ismaning ein erster Sendeturm aus Holz errichtet.

Nicht jeder der 355 Rundfunkhörer, die gleich am Anfang dabei waren, hat die „drahtlose Unterhaltung und Belehrung“ in den richtigen Kanal bekommen. So beschwerte sich eine Hörerin, dass die Programmmacher in München zu ihrem 80. Geburtstag nur eine Grammophonplatte auflegten, statt den Startenor selbst ans Mikrophon zu stellen („Mein Neffe studiert Musik, und er hat es mir gesagt“). Die vielen Kritiker musste man ebenso zufriedenstellen wie die Bastler, die mit der Gebrauchsanweisung für Detektor und Stangenmast nicht zurecht kamen.

Der Staatssekretär für das Telegrafen-, Fernsprech- und Funkwesen und spätere „Reichs-Rundfunk-Kommissar“ Hans Bredow beklagte auch bald schon „eine sehr große Anzahl“ von Schwarzhörern, die sich die zwei Mark Monatsgebühr sparen wollen oder die „vom Geheimnis der Funktechnik angelockten Funkfreunde, die mit Versuchsanordnungen experimentieren wollen“. Natürlich wussten Industrie und Geschäftswelt das neue Medium schnell zu vermarkten. Angeboten wurden Baukästen mit kompletter Empfangsstation, ein Radio-Clubsessel oder Radiohäubchen für Damen, die das Verunstalten der Frisur durch  Kabel verhindern sollten. Vom Start weg gab es Werbespots.

Im März 1933 hissten neue politische Machthaber eine Hakenkreuzfahne am Münchner Funkhaus und ihr Propagandaminister Joseph Goebbels verkündete dort eine neue Botschaft: "Der Rundfunk ist das modernste Massenbeeinflussungsmittel." Ab 1934 war der „Reichssender München“ nur noch Ableger des „Großdeutschen Rundfunks“. Als Pausenzeichen erklangen fortan die Gralsglocken aus dem "Parsifal". Jazzmusik war verboten, nach Kriegsbeginn auch das Abhören von „Feindsendern“. In der Nacht zum 29. April 1945 verbreitete der Sender, nach kurzfristiger Besetzung durch die „Freiheitsaktion Bayern“ letzte Lügen – und verstummte.

„Re-Education“ (Umerziehung) hieß die strenge Botschaft der amerikanischen Besatzer, als sie „Radio Munich“ ab Mai 1945 die ersten Sendungen erlaubten. „Korrespondenten“ in US-Uniform brachten von einer Dienststelle in der Großmarkthalle per Jeep handschriftliche Zettel  für die ersten Nachrichtensendungen ins Funkhaus. Es handelte sich überwiegend um Zahlen zur Versorgung der Bevölkerung. Dann wurden die von deutschen Mitarbeitern aus dem Englischen übersetzten Meldungen zur Tegernseer Landstraße gefahren, um das „OK“ der Information Control Division zu bekommen, was nicht immer geschah.

Obwohl der schwer kriegsbeschädigte Bau schon bis Sommer 1946 wieder aufgebaut war, dachte man an ein neues, viel größeres Funkhaus. Adolf Abel, als Hausarchitekt der Nachfolger Riemerschmids, entwarf denn auch einen riesigen, multikulturellen Komplex mit drei Konzertsälen. Das Projekt scheiterte an der Kostenfrage und am ausersehenen Standort im Hofgarten.

Im Januar 1949 erhielt der Bayerische Rundfunk von den Amerikanern die Lizenz als Anstalt des Öffentlichen Rechts. Im selben Jahr wurde der erste UKW-Sender Europas in Betrieb genommen, er ermöglichte ein zweites Hörfunkprogramm (heute sind es fünf). Zwischen 1949 und 1952 wurden nicht nur das Symphonieorchester des BR und das Münchner Rundfunkorchester gegründet, sondern auch der Sender Nürnberg eingeweiht und erste Werbefunksendungen ausgestrahlt.

Während der ersten Energiekrise Anfang der 50er-Jahre schlug Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard vor, den Stromverbrauch durch eine Verkürzung der Radiosendezeit um täglich fünf Stunden zu reduzieren. Daraufhin errechnete der Technische Direktor des BR eine monatliche Einsparung von nur 3514,85 Mark, was gegenüber den Nachteilen aller Art bedeutungslos gewesen wäre. In den 60er-Jahren versuchte es der Hörfunk mit „Plaudereien nur für ihn“, die weiblichen Hörer bat der Sprecher umzuschalten und erzählte den Herren beispielsweise Lockeres über Stripperinnen in Paris.

Ungewöhnlichen Widerhall fand ab April 1963 die Reihe „Pfarrer Sommerauer antwortet“. Abertausende von Hörern wandten sich mit ihren Problemen brieflich oder telefonisch an den schwer kriegsversehrten evangelischen Prediger, der nach der hundertsten Sendung und etlichen Beschwerden als „Seelsorger der Nation“ aufgab, um über „Machthaber“ und „Bürokraten“ des Fernsehens zu schimpfen. 1966 erregte die „sexy Stimme“ der heute noch aktiven Ansagerin Lotti Ohnesorge viele Hörer derart, dass es einen kleinen Eklat gab und Lotti ihre mit Protestsongs durchsetzte Mitternachtssendung nur noch alle 14 Tage moderieren durfte, was wiederum zu einer Anfrage beim Bundesarbeitsminister führte.

Pathetisch klang die Botschaft am 22. September 1964: „Heute beginnt ein neuer Abschnitt der deutschen Fernsehgeschichte.“ Ministerpräsident Alfons Goppel sprach im Bayerischen Rundfunk, als dieser erstmals ein eigenes Fernsehprogramm ausstrahlte.  Zunächst unter der Bezeichnung „Studienprogramm“ und noch einzigartig in Europa. Begonnen wurde mit einem zeitgeschichtlichen Vortrag von Golo Mann („Der Weg in die Teilung“) und einem Italienisch-Kurs für Anfänger im sogenannten Tele-Kolleg. Aus dem vor einem halben Jahrhundert begonnenen Experiment entstanden die heutigen Dritten Programme der ARD.

Immer wieder haben die CSU und die von ihr getragenen Staatsregierungen versucht, missliebige Sendungen abzukanzeln oder zu unterdrücken sowie ihren Einfluss auf den Bayerischen Rundfunk zu festigen und zu erweitern. Massiv geschah dies zuletzt durch das neue Rundfunkgesetz vom 1. März 1972. Dagegen organisierte ein Landesbürgerkomitee ein Volksbegehren, das über eine Million Unterschriften bekam, von der CSU jedoch für verfassungswidrig erklärt wurde. Aber noch vor dem Gang zum Verfassungsgericht sah sich Franz Josef Strauß, der eine fünf Seiten starke Rede senden durfte, zum Einlenken gezwungen. So kam doch noch ein Artikel in die Verfassung, der Staatsferne und öffentlich-rechtliche Trägerschaft festschrieb. Trotzdem waren fast alle BR-Intendanten und Chefredakteure dem „schwarzen Lager“ zuzurechnen – was freilich zuletzt kaum mehr erkennbar war.

Statt des nach dem Krieg geplanten Neubaus an einem anderen Standort wurde das alte Haus zur Marsstraße hin erweitert. In den 1970er-Jahren wurde an der Arnulfstraße sogar noch ein Hochhaus mit 18 Stockwerken angefügt. Es ist heute ein Wahrzeichen des Bahnhofsviertels. Längst hatte der Hörfunk des BR  drei Haupt- und fünf Regionalprogramme. 2012 begann erneut ein Veränderungsprozess, genannt "BR hoch drei". Eines der Ziele ist, Hörfunk, Fernsehen und Online in „trimedial arbeitende Einheiten“ zu bündeln.

Im Allitera Verlag ist erschienen „Rundfunk Schmankerl. Archiv-Fundstücke aus über 90 Jahren“ - herausgegeben von Bettina Hasselbring. Über die Geschichte des Bayerischen Rundfunks berichtet Karl Stankiewitz auch in dem noch für heuer geplanten Buch „Wo München wirklich Weltstadt ist. Das Bahnhofsviertel", es erscheint 2014 im Allitera Verlag.

Veröffentlicht am: 24.10.2014

Andere Artikel aus der Kategorie