AC/DC im Münchner Olympiastadion

Sehr nett, zum Teufel noch mal

von Michael Grill

Olympiastadion München, 19. Mai 2015. Foto: Michael Grill

Und es brach die Hölle los, denn die Schleusen des Himmels taten sich auf: Im brachialen Münchner Mai-Dauerregen versammelten AC/DC nach sechs Jahren wieder die große und generationenübergreifende Hardrock-Familie im Olympiastadion. Es war (am ersten von zwei Abenden, 19.5.2015) ein knackig-konzentrierter musikalischer Vortrag, doch angesichts einer endgültig kindgerechten Volksfestisierung wehte auch ein Hauch von flauem Abschied durchs weite und wetteroffene Rund.

 

Es sei klar, dass man bei AC/DC nichts Neues hören könne, so lautet ein Vorurteil, dass bis in die Feuilletons hinein verbreitet ist. Abgesehen von der Frage, was denn bei einer Aufführung von Beethovens Neunter immerzu neu sein könnte, stimmt das aber auch bei AC/DC nicht - man muss nur eben genauer hinhören. Durch das Prasseln des Regens hindurch fiel also zum Beispiel, dass alle 20 vorgetragenen Songs besonders kompakt gehalten waren, da war kein Solo länger als es sein musste, kein Zwischenspiel uferte aus, kein bluesiges Gedaddel und Geduddel (angesichts früherer "The Jack"-Elogen auch ganz angenehm), nicht einmal ein Schlagzeug-Solo war im Angebot (obwohl Chris Slade unter allen Drummern der Band sicher der Befähigste dazu wäre). Stevie Young, der für den erkrankten Malcolm Young die Rhythmus-Gitarre übernommen hat, machte nicht nur musikalisch meistens eine gute Figur (wofür ihn auch die Kamera liebt und entsprechend oft auf die Großbildschirme bringt), trotzdem hätte er das Intro zu "You Shook Me All Night Long" ruhig mal üben dürfen.

Gitarrenheld Angus Young durchlebt immer noch jedes Bending auf der hohen E-Seite als wär's das erste und das letzte Mal. Da brennt das Höllenfeuer ganz zweifellos. Schaut nur halt immer komischer aus, wenn ein 60jähriger in samtroter Schuluniform nach Luft schnappt wie ein Karpfen beim Abfischen am nahen Nymphenburger Kanal. "Thunderstruck" misslang leider und wurde zu einem sinnlosen Soundbrei, "High Voltage" hingegen tänzelte in wirklich schön schräger Heiterkeit - so ging das hin und her. Nach generell starkem Hit-Geballer in der ersten Hälfte begann mit "Baptism By Fire" eine entspannte Geh-doch-mal-Bierholen-Phase, bevor kam, was - ganz im Ernst - einfach kommen muss, nämlich "T.N.T", "Whole Lotta Rosie", "Let There Be Rock", "Highway To Hell", "For Those About To Rock".

Der Sound war leider olympiastadionartig, aber dafür kann ja keiner was, und es schaut ja zumindest immer noch sehr gut aus. Nein, das Problem, wenn man denn eines haben wollte, war vielmehr Folgendes: AC/DC sind schon gut 20 Jahre feinster Arenen-Mainstream, aber die eine oder andere schrabbelige Kante war schon noch da. Jetzt ist da nichts mehr. Dass das Einstiegs-Video (irgendwas mit Kometen-Apokalypse...) deppert ist, macht nix. Aber dass da auch "Angus"-Rufe von der Festplatte eingespielt werden, ist peinlich.  Dass "Back In Black" in - na? - in Schwarz-Weiß-Optik präsentiert wird, naja wie denn sonst?

Doch es ist ein Tick zuviel Family und zuwenig AC/DC. Das rot blinkende Meer der Plastik-Hörndl im Publikum hat die Fan-Authentizität einer Choreografie in der Hoffenheimer Geld-Arena. Wenn auf der Bühne gut 50 Marshall-Boxen Lärm-Echtheit simulieren, ist das schöner alter Metal-Brauch. Wenn dann aber noch zusätzlich die Plastikplanen der eigentlichen PA mit Boxen-Optik bepinselt sind, ist hier das künstlerische Konzept schlicht nicht überzeugend umgesetzt. Dass die Kamera-Regie beim Blick ins Publikum nach Möglichkeit nur junge, schöne Menschen zeigt (auf der Bühne ist das ja nicht möglich), passt schon. Dass aber hektisch weggeschwenkt wird, nur weil versehentlich zwei blanke Brüste einer enthemmten "You Shook Me All Night Long"-Hörerin ins Bild geraten, zeigt leider aufs Erbärmlichste den Zwang zur Disney-Prüderie. (Man muss ja damit auch in US-Stadien, und one Prüderie fits all...). Selbst das übergroße Plastikmädel Rosie (eine aufgepumpte Puppe in ehedem zumindest derber Optik) passt sich inzwischen an: Küss' die Hand, superbrave Madame.

Auf T-Shits gaben sich unter anderem die Oldtimerfreunde Erharting und Teilnehmer des Kaltenberger Ritterturniers zu erkennen. Es war für alle sehr nett. Nur so nass war lange nix.

Veröffentlicht am: 21.05.2015

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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