Karl Stankiewitz aus aktuellem Anlass über Bayerns Polizei-Wunderwaffe
Wie die USK-Einheit einst mit Peter Gauweiler in die Welt kam
Die aktuellen Vorfälle beim Unterstützungskommando (USK) der Polizei lenken den Blick auf Geschichte, Struktur und Aktivität dieser in München stationierten 3. Einsatzhundertschaft.
Plötzlich knallt und prasselt es gegen die die gepanzerte Windschutzscheibe, die sofort verschmiert. Draußen wilde Schreie und erhobene Fäuste. Unwillkürlich duckt man sich in den Sitzen des Polizeifahrzeugs. „Damit ihr mal erlebt, wie so was innen aussieht“, klärt uns der mitfahrende Innen-Staatssekretär Peter Gauweiler über den Sinn des simulierten, aber überraschenden Angriffs von „Chaoten“ auf. Bayerns Supersaubermann, der vorher (als KVR-Referent) für Ordnung in der Stadt München gesorgt hatte, will den Medienvertretern – und nicht zuletzt den „potentiellen Störern“ zwecks Abschreckung – am 3. Februar 1988 zu abendlicher Stunde seine neue, superschlagkräftige Polizeitruppe präsentieren: das sogenannte Unterstützungskommando (USK).
Im Dezember war die erste USK-Hundertschaft aus Freiwilligen der Bayerischen Bereitschaftspolizei rekrutiert worden. Alle Polizeipräsidenten des Freistaats stimmten Gauweilers Projekt zu, nachdem zwei Beamte an der Frankfurter Startbahn West von gewalttätigen Demonstranten erschossen worden waren. In den letzten Jahren seien in der Bundesrepublik über 1200 Polizisten bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zum Teil schwer verletzt worden, begründet Gauweiler. Zur gleichen Zeit teilt sein Innenminister August Lang auf einem Rossmarkt seiner Oberpfälzer Heimat mit, die Polizeieinsätze bei der WAA von Wackersdorf hätten schon 60 Millionen Mark gekostet.
Acht Wochen lang wurde gedrillt. 40 Stunden pro Woche gab es für die Freiwilligen – der Jüngste ist 22 – theoretische, technische, rechtliche, psychologische Schulung. Und vor allem gab es ein körperliches Top-Training, das vom Marathonlauf bis zu den verschiedenen Kampfsportarten reichte. So berichtet Hauptkommissar Georg Rieger, der die 120 Jungmänner ausgebildet hat. Der 42jährige Haudegen hat seit den Schwabinger Krawallen im Sommer 1962 alle polizeilichen Großeinsätze nicht nur in Bayern an vorderster Front mitgemacht.
Das Produkt dieser Ausbildung stellt sich jetzt auf dem ehemaligen Flugplatz Schleißheim dar wie ein Konglomerat von James Bond, Bruce Lee und Schimansky. Mit Händen, Füßen, Knien und Köpfen wehren Gauweilers Helden die „Chaoten“ ab, von denen sie mit langen Stöcken, mit Klappstöcken und blitzenden Dolchen angegriffen werden, schreiend und natürlich vermummt bis auf die Augenschlitze. Schusswaffen sind nicht zu erkennen. Doch der neue „Räum- und Abdrängstock“ scheint eine Art Wunderwaffe zu sein. Die USK-Leute handhaben ihn wie Fechter ihr Florett. „Der alte Schlagstock ist nicht mehr in“, verrät Rieger. Mit dem neuen könne die Polizei endlich aggressiv statt nur defensiv wirken.
Das ist überhaupt die neue Strategie. „Der Polizeibeamte soll sich nicht mehr hinter transparenten Schutzschilden verstecken und abwarten, er muss hinein in die Störerreihen,“ erläutert Ministerialdirigent Hermann Haering. Gauweiler, auch privat dem Kampfsport zugeneigt, ergänzt Grundsätzliches: „Mit der altrömischen Schlachtordnung ist es vorbei. Es darf nicht mehr Aufgabe der Polizei sein, Distanz zum Straftäter zu halten, er muss ihn angreifen, dem Richter zuführen und seine Handlungen beweissicher dokumentieren.“ Die „unglückliche“ Diskussion um neue „Distanzwaffen“ (Hartgummischrot u.a.) hält der CSU-Politiker somit für beendet.
Die Zuschauer auf dem Feldherrenhügel erleben dann ein paar filmreife Szenen; Beim „Herauslösen“ eines schwarzen Blocks fliegen aus einer johlenden, trillerpfeifenden, hupenden Menge heraus plastikverpackte Steine auf das Greifkommando, ein grüner Panzerwagen bricht durch die brennende Barrikade, Männer springen heraus, löschen, filmen per Video auf langer Stange, schwingen ihre Wunderstöcke, greifen blitzschnell zu. Sie tragen schwer entflammbare Anzüge, Brandschutzwesten liegen bereit.
Bei weiteren Demonstrationen der neuen Drauflos-Ordnung geht es darum, eingeschlossene Dienstwagen zu befreien oder in einen gewaltbereiten Störerblock einzudringen, in welchem eher harmlose Losungen geschwungen werden („Rot ist die Liebe“). Auf Polizeiseite hallen Kommandos in die Nacht: „Kräfte sammeln... neue Ausgangsposition einnehmen.“ Am Ende sind die Chaoten allesamt sichergestellt oder versprengt. Dass sie dann in ihrem Räuberzivil in geordneten Reihen an der Gulaschkanone antreten, ist allerdings im Ernstfall nicht vorgesehen. Auch dem Kampfspielleiter Gauweiler, der seine moderne Streitmacht auch anderen Bundesländern andienen will, ist durchaus bewusst, „dass die Realität immer ernster und immer schlimmer ist“.
Dem Schlimmsten will Bayerns Polizei aber nicht nur durch die harte USK-Ausbildung vorbeugen, die nach den acht Wochen weitergehen wird, sondern auch durch eine ganz besondere Ausrüstung. Unterstützungskommandeur Rieger hat sie aus aller Welt zusammengekauft: Trekkingschuhe, die „schnell und trotzdem standfest“ sind, Knie- und Schienbeinschutz vom Eishockey in Kanada, Genital- und Armschutz vom Motocross, die Schutzweste, die 9-mm-Geschosse abwehrt „und trotzdem beweglich ist“, schmuckes grünes Barett, denn „auch das äußere Erscheinungsbild ist wichtig“. Ähnlichkeiten mit Fallschirmjägern und Bundesgrenzschutz nicht ausgeschlossen.
Seit 2005 nun tragen die hundert oder mehr USK-Männer dunkle, unverkennbare Einsatzoveralls in „parisblue“ mit dem Vogel „Greif“ als Einsatzabzeichen. Sie unterstehen der bayerischen Polizeiinspektion Spezialeinheiten (SEK), zusammen mit dem Mobilen Einsatzkommando (MEK) und dem Technischen Einsatzkommando (TEK). Ihre Angehörigen und Dienststellen unterliegen strengem Anonymitätenschutz. Ausdrücklich wird in der offiziellen und sonst recht offenen „Chronik der Münchner Polizei“ darauf verzichtet, auf Strukturen und Einsatzkonzepte einzugehen.
Bekannt gemacht wird immerhin die „Kernkompetenz“: Eingesetzt wird das Unterstützungskommando demnach bei Fußballspielen, Razzien im kriminellen Milieu, Wohnungsdurchsuchungen bei gewaltbereiten Personen oder „speziellen“ Gefangenentransporten (über Abschiebetransporte war bisher nichts bekannt). An erster Stelle jedoch nennt der 2015 herausgegebene Polizeireport den Einsatz „bei Demonstrationen“ (die nicht näher definiert werden).
Allerdings hatte die erste größere USK-Aktion dieser Art, nämlich die Einkesselung und Festnahme von über 500 Demonstranten beim Münchner Weltwirtschaftsgipfel im Juli 1992, dermaßen heftige Proteste zur Folge, dass Ministerpräsident Max Streibl, der gerade der im Hofbräuhaus zechenden Weltpresse verständlich machen musste: „Wenn jemand glaubt, sich mit Bayern anlegen zu müssen, dann ist es halt bayerische Art, etwas härter hinzulangen.“
Härter zuschlagen als andere – eine Kernkompetenz dieser Polizei?