Karl Stankiewitz über die 60er-Legende "twen" - und die Frage, wo der Mythos heute weiterlebt

Das Münchner Magazin, das alles verändern wollte

von Karl Stankiewitz

Die großen Fragen...

Auf dem bereits üppigen deutschen Medienmarkt erschien vor 60 Jahren ein Magazin, das wesentlich dazu beigetragen hat, Kultur und Gesellschaft zu verändern - gleichermaßen wie etwa die Beatles oder der Sozialistische Deutsche Studentenbund. Auf Kuba siegte gerade die Revolution, als ein Kreis keineswegs linker Revoluzzer - der 30-jährige Gestalter Willy Fleckhaus, die Wirtschaftsredakteure Adolf Theobald und Stephan Wolf vom Magazin „Capital“, sowie progressiver Dominikaner -  im April 1959 die Zeitschrift „twen“ gründeten.

Alle zwei Monate sollte das neuartige Magazin aus Köln  – wie der Titel sagte –  besonders die 20- bis 30-Jährigen ansprechen. Mehr durch Bild, Typographie und Layout als durch Texte wollte man ähnlich stilbildend wirken wie Ende des 19. Jahrhunderts die legendäre Münchner „Jugend“. Die Redaktion übersiedelte denn auch bald nach München, wo sich bei den Schwabinger Krawallen im Sommer 1962 erste, noch nicht zielgerichtete Unruhen in der jungen Generation ankündigten. Allmählich wurde die publizistische Stimulans dieser Generation zu deren Stimme.

Noch in den Kinderschuhen machte das Junge-Leute-Journal durch allerlei Experimente von sich reden. „Superindividualismus ohne Bindung an Gesellschaft und Moral“, so klang zum Beispiel ein Vorwurf des Bayerischen Jugendrings. Kritik, aber auch Bewunderung bis zur Begeisterung überschlugen sich. Jedenfalls waren die kreativen Macher um ein hohes Niveau bemüht. Es waren Journalisten wie Günther Wallraff, Rüdiger Dilloo und der blutjunge Michael Jürgs, Grafiker wie Heinz Edelmann, der die Beatle-Songs so schön bunt illustriert hatte, Fotografen wie der Amerikaner Will McBride und Sven Simon, wie sich der Sohn des Pressezaren Axel Cäsar Springer nannte.

Poppig und provokativ sagte „twen“, inzwischen jeden Monat, die Botschaften der 60er-Jahre an. Ähnlich wie die Studenten stritt man gegen verkrustete Strukturen in der Gesellschaft ebenso wie für die Liberalisierung des Lebens und die Emanzipation von Minderheiten. Schöne Nackte, immer wieder die Kommunardin Uschi Obermaier, füllten die Seiten und speziell die Titel. Aufsehen erregten die ungewöhnlichen, ungenierten Kompositionen des Starfotografen McBride., der in Starnberg lebte und sich nicht scheute, seine schwangere Frau nackt im Blatt in Szene zu setzen.

Sexsymbol war nicht mehr das Pinup-Girl made in USA, nun triumphierte – oder scheiterte in der Gunst der Leser – vielmehr die Kindfrau. Sie kam daher als Streunerin oder Ausreißerin, als Groupie, Kommilitonin oder Prostituierte. „twen“ zeigte kritisch auf, wie die Frau in der neuen Medienwelt zur Befriedigungsmaschine wurde - oder auch zur Bestie. Die Beziehungen der Geschlechter waren ein Leitthema, das in Bekenntnissen junger Leute aufbereitet wurde.

In Bild und Wort – und später auch in eigens gepressten Schallplatten – wurden Lebenslust und Lebensgefühl der 60er-Jahre vermittelt. Sittliche Grundsätze, soweit sie nach '68 immer noch die Gesellschaft beherrschten, wurden angekratzt, Tabus wie etwa der Umgang mit der Homosexualität gebrochen, Intimes öffentlich gemacht. Die Typen in den schicken Redaktionsstuben im Münchner Arabellapark übernahmen dabei den Klang der neuen Generation, der sich später sogar in einem „Wörterbuch der twen-Sprache“ niederschlug.

Unter der Chefredaktion des Starreporters Kai Hermann traten in der letzten Lebensphase von „twen“ die geschniegelten Bilder immer weiter zurück. Das erotische Sujet sollte jetzt nicht mehr der Dekoration oder Spekulation dienen, sondern noch mehr der Emanzipation. Diese Twens wollten keine glatten „Blattmacher“ mehr sein, sondern aggressive Aufklärer, Veränderer. Manche Insider-Informationen gewannen sie, indem sie als Stadtstreicher oder Zuhälter „arbeiteten“.

Probleme der Zeit...

Die Auflage veränderte sich oft, schließlich kletterte sie aber auf rund 250.000 Exemplare. Ebenfalls wechselten die Herausgeber. Nicht weniger als sechs deutsche Großverlage bemühten sich nacheinander um geschäftlichen Erfolg dieses Presseprodukts. Der letzte, Gruner + Jahr, kam nach einer gründlichen Marktanalyse zu dem Schluss: „Eine solche Zeitschrift hat keine echte Chance mehr.“ Immerhin hatte sich 1971 der Jahresverlust auf 1,5 Millionen Mark summiert. Das schöne Bilderblatt war in den Augen der Hamburger Kaufleute zum bloßen „Vehikel für Goldmedaillen“ degeneriert. Sang- und klanglos ließen die Marktherrscher den „Zwanzigjährigen“ noch vor seinem  12. Geburtstag sterben. Die fertige Mai-Nummer wurde erst gar nicht ausgeliefert.

Vergebens verwiesen die 17 Redakteure des „twen“ auf die zunehmend positiven Reaktionen von Lesern und auf Werbeagenturen, die bereits ein eigenes, jugendlich-kritisches Konzept entwickelt hatten. Den maßlos enttäuschten Redakteuren und Fotografen in München blieb nur noch, Kollegen zur Trauerfeier zu bitten. Vielleicht – so kommentierte damals der Schreiber dieses späten Nachrufs - hatte die Verlagsmanager auch der politisch-publizistische Mut verlassen, weil ihre Münchner Redakteure die Gefängnisbriefe von Fritz Teufel veröffentlichten, weil sie um Verständnis warben für den Polit-Boxer Muhammad Ali, die palästinensische Guerilla und sogar für Ulrike Meinhof, weil sie auch die Macher des Fernsehens und der großen Illustrierten attackierten. So viel Meinungsfreiheit schien in jener Zeit des Umbruchs denn doch nicht mit Geschäftsinteressen vereinbar zu sein.

Zweimal noch in den frühen 80er-Jahren versuchten Kleinverleger, darunter der FDP-Politiker Jürgen Möllemann, mit dem aus der Konkursmasse aufgekauften Titel „twen“ neue Geschäfte zu machen. Doch über ein paar belanglose Nummern kam keiner der Wiederbelebungsversuche hinaus. 1995 präsentiert das Münchner Stadtmuseum unter dem Titel „twen – Revision einer Legende“ eine große Rückschau auf das Medium einer Zeit, „als die Bundesrepublik jung, ganz jung war“. Und 2017 erinnert das Museum Villa Stuck mit der ersten großen Werkschau an den genialen Willy Fleckhaus, der bis zu seinem Tod im September 1983 die internationale Design- und Grafikszene vielfältig bereichert hat. Titel dieser Münchner Ausstellung: „Design, Revolte, Regenbogen“.

Gaudiblatt Nr. 1

Es waren wehmütige Erinnerungen an das erste Zeitgeistmagazin in Deutschland, an die „letzte individualistische Zeitschrift der Welt“, wie ihr einer der großen amerikanischen Artdirektoren nachtrauerte. Und im jüngst erschienenen Buch „1968. Protest, Revolte, Gegenkultur“ hat der deutsche Kulturwissenschaftler Detlef Siegfried auf die Bedeutung von „twen“ für die „Kaufkraftrevolte“  jener beiden Jahrzehnte  hingewiesen.

Gaudiblatt Nr. 30

Der Mythos lebte weiter – jedenfalls regional. Am 6. Juli 1973 begab sich ein Blatt auf die Straße, das sich als Stadtzeitung für München verstand und schlicht „Das Blatt“ betitelte. Tapfer und immer provokativ kämpfte sich auch diese erste alternative Zeitung der Bundesrepublik durch eine politisch bewegte Zeit; sie erreichte eine Auflage von 25.000, sorgte für Skandale und verstrickte sich in Ermittlungsverfahren. Bis auch dieses Protestprodukt wegen totaler Überschuldung nach ebenfalls elf Jahren die Waffen, also die Schreib- und Zeichenstifte, strecken musste.

Eine gewisse Nachfolge trat das „Gaudiblatt“ an, das der unverwüstliche Schriftsteller, Musiker und Moderator Carl-Ludwig Reichert im April 2009 mit Freunden aus dem Münchner Underground hob. Nachdem nunmehr 30 Nummern mit superfrechen Sprüchen und tollldreisten Comics gratis abgegeben wurden, ruft das Leib- und Magenblatt der Münchner Subkultur am 13. April zur 10-Jahres-Feier bei freiem Eintritt ins Kulturquartier an der Dachauer Straße. Die Jubiläumsnummer ist zur Hälfte dem verstorbenen „Blatt“ gewidmet. Dem „twen“ weint keiner eine Träne nach.

 

Beim Fest für das Gaudiblatt spielen auf die Bands Talking People, Einstürzende Musikantenstadl und Embryo. Der Eintritt ist frei, weil, wie das Gaudiblatt kundtut, "es sich so für die verdammten, unverbesserlichen Gutmenschen von Blatt und Gaudiblatt ganz selbstverständlich gehört". Am 13. April 2019 im Import Export um 20 Uhr.

Veröffentlicht am: 10.04.2019

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Wolfgang Z. Keller
08.12.2019 20:49 Uhr

Verehrter (und das ist NICHT als Floskel gemeint) Herr Stankiewitz,

als im doppelten Wortsinn Alt-68er freue ich mich über Ihre höchst stadtgeschichtskundigen Artikel in Kultur-Vollzug immer ganz besonders - und herzlichen Dank mal dafür!

Es scheint, als könnten gerade SIE mir die Frage beantworten, deren Lösung mir trotz vielem Nachgrübeln nicht einfällt: Wie hieß das - von der Max-Joseph-Str. her gesehen - nächste Kellerlokal(Beatschuppen)nachm Big Apple Richtung Münchner Freiheit? Da spielten auch mal Livebands wie z.B. die German Bonds, es war das rockigere, Stones-affine Lokal???

MfG, herzlich Wolfgang Z. Keller